Die unterirdischen Lebensräume sind noch wenig erforscht. Raphael Weber/Pro Natura
23.01.2020

Höhlen-Forscher Roman Alther: «Wir rechnen mit 
weiteren Entdeckungen»

Im Hölloch war Eawag-Forscher Roman Alther an der Entdeckung drei neuer Flohkrebsarten beteiligt. Dies zeigt, dass die unterirdischen Lebensräume aus biologischer Sicht noch wenig erforscht sind.

Flohkrebse bilden in unseren Ober­flächengewässern einen wichtigen und unersetzlichen Teil des Nahrungskreislaufs. Nun hat eine Expertengruppe unter der Leitung von Florian Altermatt am Wasserforschungsinstitut Eawag damit begonnen, die unterirdischen Vorkommen der Flohkrebse systematisch zu erfassen – und hat dabei erstaunliche Entdeckungen gemacht. Eawag-Forscher Roman Alther gibt Auskunft.

Pro Natura Magazin: Im Rahmen der Aktion amphipod.ch wurden im Hölloch gleich drei neue Arten von Flohkrebsen entdeckt. Waren das eher Glücksfälle oder vermuten Sie unter­irdisch noch grosse unentdeckte Arten­vorkommen?

Roman Alther: Wahrscheinlich beides. Es ist aussergewöhnlich, an einem spezifischen Ort gleich drei neue Arten zu entdecken, selbst wenn es sich beim Hölloch um ein riesiges Höhlensystem handelt. Aufgrund neuer Proben, die wir momentan genetisch und morphologisch analysieren, rechnen wir mit weiteren Ent­deckungen. Doch wir werden kaum wieder an einem Ort gleich drei neue Arten nachweisen können.

Steht die sogenannte Biospeläologie, also die systematische Erfassung der Höhlenfauna und -flora, in der Schweiz noch in den Anfängen?

Der Fokus in der Höhlenforschung hat sich in der Vergangenheit sicherlich eher auf die Geologie als auf die Biologie gerichtet. Allerdings schafften bereits in den 1960er-Jahren zwei Forscher eine Übersicht über die Vielfalt von Lebewesen in unseren Höhlen. Diese war eine wichtige Grundlage für unsere Studie, in der wir nun systematisch nach Flohkrebsen und auch anderen Tieren im Untergrund suchen. Insgesamt aber steht die Biospeläologie in der Schweiz sicherlich noch in den Anfängen.

In Deutschland wurde im Rahmen solcher Erfassungen der erste europäische Höhlenfisch entdeckt. Hoffen Sie als Forscher insgeheim auch auf eine solche Sensation?

Für uns waren schon die Flohkrebse eine Sensation! Eine solche Entdeckung ist sicherlich förderlich, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf einen kaum bekannten Lebensraum zu lenken. Aber dies ist nicht die alleinige Motivation für unsere Arbeit. In Oberflächengewässern haben wir mittlerweile recht genaue Kenntnisse über die Organismen, die ökologischen Kreisläufe und die Ökosystemfunktionen. Nun geht es uns darum, dies auch in den unterirdischen Gewässern zu verstehen.

In Oberflächengewässern sind die Flohkrebse ein wichtiger Teil der Nahrungskette und haben eine unmittelbare Auswirkung auf die Fischbestände. Wie ist das unterirdisch?

Das ist eben noch weniger gut erforscht, aber wahrscheinlich stehen die Flohkrebse hier am Ende der Nahrungskette, während sie oberirdisch ein wichtiges Bindeglied sind. Unterirdisch ernähren sie sich etwa von Biofilm, also von unterschiedlichen Mikroorganismen. Einzelne Flohkrebse sind wahrscheinlich sogar räuberisch, wie wir das aufgrund der Morphologie der Kauwerkzeuge und der Greifer vermuten. Wir freuen uns darauf, nun unsere ersten Erkenntnisse vertiefen zu können.

In der Schweiz wurden bis heute 20 Niphargus-Arten nachgewiesen. Vera Howard/Pro Natura
In der Schweiz wurden bis heute 20 Niphargus-Arten nachgewiesen.

In Oberflächengewässern leiden Flohkrebse stark und sehr unmittelbar unter dem Pestizideinsatz. Gelangen diese Gifte auch in die Unterwelt?

Ja, das ist erwiesen. Das Grundwasser wird regelmässig untersucht, und eine durch die Eawag durchgeführte Studie zeigte dieses Jahr, dass an zahlreichen Messstellen Pestizide in unserem Grundwasser nachgewiesen werden können. Wir vermuten, dass diese Pestizide auch einen negativen Einfluss auf die Lebensgemeinschaften im Untergrund haben können. In alpinen Lebensräumen wie beim Hölloch ist der menschliche Einfluss vermutlich geringer, weil dort die Landnutzung an der Oberfläche extensiver ist. Im intensiv genutzten Mittelland sieht das aber ganz anders aus.

Und dazu sind Flohkrebse ober- wie unterirdisch wichtige Bioindikatoren?

Das vermuten wir, es wäre die logische Konsequenz unserer Erkenntnisse aus den Oberflächengewässern. Wir können dies aber noch nicht bestätigen, da wir diesbezüglich erst am Anfang unserer Forschung stehen und auch keine früheren Vergleichswerte haben. In einem Nachfolgeprojekt wollen wir deshalb Informationen über die Grundwasserfauna mit Informationen über die Oberflächennutzung verlinken. An diesen Informationen haben auch die Wasserversorger ein grosses Interesse.

Flohkrebse wären also eine Art Trinkwasser-Gütesiegel?

Definitiv! Bei einem Pilotprojekt waren einzelne Wasserversorger überrascht, wie viele Lebewesen wir im Grundwasser finden konnten. Das zeigt, dass sauberes Grundwasser nicht nur wichtig für uns zum Trinken ist, sondern auch für den Erhalt der Biodiversität.

Raphael Weber, Chefredaktor Pro Natura Magazin.

Roman Alther zvg
Eawag-Forscher Roman Alther

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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