17.07.2017

Neuer Bericht zeigt: Biodiversität schwindet – Bund schaut zu

Praktisch nichts ist geschehen, seit der Bundesrat vor 5 Jahren seine «Strategie Biodiversität» mit klaren Zielen zur Rettung der bedrohten Biodiversität verabschiedet hat. Der Schwund der Naturvielfalt geht fast ungebremst weiter. Das belegt ein neuer, detaillierter Bericht der Umweltverbände BirdLife Schweiz, Pro Natura und WWF Schweiz zur Umsetzung der Strategie. Die Verbände fordern einen griffigen Aktionsplan mit konkreten Massnahmen.

Vor über fünf Jahren hat der Bundesrat die Strategie Biodiversität Schweiz beschlossen und klare Ziele bis 2020 gesetzt. Geschehen ist seither praktisch nichts. Der Aktionsplan mit den Massnahmen, die der Zielerreichung dienen sollten, fehlt bis heute. Die Naturschutzorganisationen BirdLife Schweiz, Pro Natura und WWF Schweiz haben zusammen mit weiteren Experten nun einen Zwischenbericht* zu den Aktivitäten der Schweiz zugunsten der Biodiversität vorgelegt. Das Ergebnis ist sogar noch schlechter als erwartet.

Von den 18** strategischen Zielen des Bundesrates kann gemäss dem neuen Bericht nur ein einziges bis 2020 erreicht werden. Zur Erreichung der 120 Teilziele, die in der Strategie Biodiversität des Bundesrates enthalten sind, wurden ganz wenige Massnahmen ergriffen. Nur bei 14 Teilzielen wurde genug getan, um sie zu erreichen. Für die 106 anderen Teilziele wurde nichts oder viel zu wenig unternommen.

Schutzgebiete: Die Schweiz als Schlusslicht in Europa

Als eines von vielen Beispielen nennt der Bericht die Fläche und die Qualität der Schutzgebiete. Seit Jahren steht die Schweiz diesbezüglich am Schluss der Rangliste in ganz Europa. In den letzten fünf Jahren kamen gerade mal 0,1 Promille*** der Landesfläche als zusätzliche Biodiversitätsvorrangflächen hinzu. Die Schweiz wird das einzige Land Europas sein, das bis 2020 das internationale Schutzgebietsziel der Biodiversitätskonvention nicht erreicht. Es braucht aber nicht nur mehr Fläche, auch die Qualität muss besser werden: In 80 Prozent der Hochmoore und 30 Prozent der Flachmoore, die sogar auf Verfassungsstufe geschützt sind, besteht grosser Handlungsbedarf: Ungenügender Unterhalt, zu wenig Wasser und hoher Stickstoffeintrag aus Landwirtschaft und Verkehr zerstören die Moore der Schweiz. Die vom Bundesrat 2016 beschlossenen Sofortmassnahmen für den Unterhalt der Schutzgebiete sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei weitem ungenügend, um nur schon die ökologisch wertvollen und für den Wasserhaushalt wichtigen Moore, geschweige denn die ganze Biodiversität zu erhalten.

Verantwortungslose Politik

Im Februar 2015 hatte der Bundesrat in einer Verlautbarung festgehalten: „Sowohl in der Schweiz als auch weltweit nimmt die Biodiversität seit Jahrzehnten markant ab. Dieser Rückgang gefährdet die Stabilität der Ökosysteme, die uns mit sauberem Wasser, Nahrung und zahlreichen weiteren überlebenswichtigen und wirtschaftlich zentralen Leistungen und Ressourcen versorgen und zudem Schutz vor Naturkatastrophen bieten.“

Dass trotz dieser besorgniserregenden Einsicht kein höheres Tempo angeschlagen wird bei der Rettung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, erachten die Umweltverbände als verantwortungslose Politik. Das kann die Schweiz gemäss der bundesträtlichen Verlautbarung teuer zu stehen kommen: „Berechnungen auf europäischer Ebene zufolge dürften den einzelnen Ländern – wenn sie nicht handeln – Kosten in der Höhe von vier Prozent des Bruttoinlandprodukts entstehen.“

Einiges deutet daraufhin, dass bald ein Aktionsplan beschlossen wird, dieser den grossen Herausforderungen für die Biodiversität in unserem Land aber nicht gewachsen sein dürfte. BirdLife Schweiz, Pro Natura und WWF Schweiz fordern vom Bundesrat endlich einen konkreten Aktionsplan Biodiversität mit wirksamen Massnahmen zur Erreichung seiner Biodiversitätsziele.

Weitere Auskünfte

  • Werner Müller, Biodiversitätsexperte, Geschäftsführer BirdLife Schweiz, 079 448 80 36, @email
  • Simona Kobel, Projektleiterin Biodiversitätspolitik, Tel. 061 317 91 37, @email
  • Thomas Wirth, Projektleiter Biodiversität, Tel. 044 297 22 85 oder 078 720 19 05, @email

Erläuterungen für die Redaktion

Der vollständige Zwischenbericht der Umweltorganisationen sowie eine Kurzfassung können hier heruntergeladen werden:

birdlife.ch/biodiversitaet

pronatura.ch/biodiversitaet

*Der Bundesrat hat in seiner Strategie Biodiversität selber einen Zwischenbericht 2017 zum Stand von deren Umsetzung verlangt. Bisher wurde dieser vom Bund nicht veröffentlicht.

**Der Bundesrat hat 10 strategische Ziele beschlossen, wobei das erste Ziel in 9 Sektoren aufgeteilt ist. Diese total 18 Ziele des Bundesrates wurden analysiert.

***Es handelt sich um gut 5 Quadratkilometer Wasser- und Zugvogelreservate von nationaler Bedeutung.

Links

Strategie Biodiversität Schweiz

Communiqué Bundesrat 18.2.2015

Communiqué Bundesrat 18.5.2016

Hier muss die Schweiz endlich für die Biodiversität handeln

Es handelt sich hier um einen kleinen Teil der Ziele des Bundesrates, die bereits in seiner Strategie Biodiversität von 2012 aufgeführt sind:

  • Die Beeinträchtigung der Biodiversität soll bei der Planung der Energieerzeugung möglichst gering gehalten werden.
  • Die aus dem Verlust an Biodiversität resultierenden unternehmerischen Risiken müssen stärker angegangen und der negative Einfluss der Wirtschaft auf die Biodiversität verringert werden.
  • In der Landwirtschaft sollen die Umweltziele Landwirtschaft UZL im Bereich Biodiversität regional quantifiziert, qualifiziert und koordiniert umgesetzt werden.
  • Tourismus, Sport und Freizeit sollen mittels naturverträglicher Angebote und Infrastrukturen zur Schonung der Biodiversität beitragen.
  • Die Schweiz baut eine ökologische Infrastruktur auf, welche wichtige Funktionen der Ökosysteme sowie alle bedeutenden natürlichen und naturnahen Lebensräume in einem guten Erhaltungszustand sichert. Hierzu sind einerseits die Ergänzung und Aufwertung des Schweizer Schutzgebietssystems nötig, anderseits die Ergänzung und Sicherung eines Systems von Vernetzungsgebieten in der gesamten Landschaft.
  • Die Populationen National Prioritärer Arten in der Schweiz sind langfristig zu sichern.
  • Der biologischen Vielfalt abträgliche Anreize einschliesslich Subventionen müssen beseitigt, schrittweise abgebaut oder umgestaltet werden.
  • Das Bewusstsein aller Akteure aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft darüber, dass und wie sie von Ökosystemleistungen profitieren, welches die Folgen ihres Handelns und ihres Konsums auf die Biodiversität und die Ökosystemleistungen sind und wie sie zur Erhaltung beider beitragen können, wird gestärkt.
  • Im Siedlungsraum sind naturnahe, leicht und rasch zugängliche Freiräume sowie Vernetzungsstrukturen zu schaffen, aufzuwerten und zu erhalten.
  • Der Schutz und die Erhaltung der Biodiversität werden durch die bilaterale Schweizer Entwicklungszusammenarbeit gezielt gefördert. Im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit fördert die Schweiz Projekte zugunsten der Biodiversität. Nicht unterstützt werden dürfen Projekte mit negativen Auswirkungen auf die Biodiversität.

Parlamentarier aus allen Fraktionen wollen wissen, wo der Aktionsplan Biodiversität des Bundes steht – Interpellation der Sommersession 2017

Kathrin Bertschy (GLP BE) will wissen, wie es mit den im letzten Jahr beschlossenen Sofortmassnahmen für die Biodiversität weitergeht. Kurt Fluri (FDP SO) möchte erfahren, wie der Bundesrat die Sektorpolitik im Aktionsplan Biodiversität behandelt. Alice Glauser (SVP VD) erkundigt sich nach dem Zwischenbericht 2017 zur Umsetzung der Strategie Biodiversität Schweiz des Bundesrates. Bea Heim (SP SO) bringt den Aktionsplan Biodiversität mit der Gesundheitspolitik in Verbindung. Die Fragen von Maja Ingold (EVP ZH) drehen sich um die Laufzeit des noch immer nicht beschlossenen Aktionsplans, hätte dieser doch bis 2020 umgesetzt sein sollen. Stefan Müller-Altermatt (CVP SO) interessiert sich dafür, wie die Vorbilder aus verschiedenen Kantonen für den Aktionsplan des Bundes genutzt werden. Rosmarie Quadranti (BDP ZH) fragt nach den Folgerungen, die für den Aktionsplan Biodiversität aus den Stellungnahmen der Kantone 2015 gezogen wurden. Ursula Schneider Schüttel (SP FR) möchte wissen, wie der Bundesrat seine eigenen Vorgaben für den Aktionsplan einhalten wird. Adèle Thorens (Grüne VD) interessiert sich für die Gründe für die starken Verzögerungen bei der Festsetzung des Aktionsplans Biodiversität.