Ein Grossteil der Schweizer Gewässer ist durch Pestizide belastet. Matthias Sorg/Pro Natura
20.02.2020

Pestizidgrenzwerte: Es braucht eine Wende!

Es kommt Bewegung in die Pestiziddebatte: Das UVEK korrigiert die Grenzwerte für die Gewässerbelastung bei einigen Pestiziden nach unten. Für Pro Natura ist das ein wichtiger und überfälliger Schritt im Umgang mit den giftigen Stoffen. Es braucht aber noch mehr, erklärt Pro Natura Gewässerschutzexperte Michael Casanova.

Möglicherweise krebserregende Abbaustoffe in erhöhter Konzentration im Schweizer Trinkwasser: Chlorothalonil stand im Sommer 2019 in den Negativschlagzeilen. Das Pestizid, mit dem ein Pilz im Getreide-, Gemüse- und Weinanbau bekämpft wird, wurde im März 2019 in der EU verboten. Ende Jahr reagierte auch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und verbot das Pestizid ab 2020.

Chlorothalonil wird seit den 1970er Jahren in der Schweizer Landwirtschaft verwendet. Allein im Jahr 2018 wurden 36,9 Tonnen des Giftes ausgetragen. Im Rahmen einer Untersuchung von Pestiziden, die bereits seit langem bewilligt sind, kam Chlorothalonil in den Fokus der Behörden. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BLV) musste feststellen, dass Chlorothalonil zu grosse gesundheitliche Risiken birgt, um weiterhin in der Landwirtschaft verwendet werden zu können. Chlorothalonil ist damit nur das jüngste Beispiel für die Probleme der Schweiz im Umgang mit Pestiziden.

Früher oder später landen diese Gifte oder ihre Abbauprodukte oft in unseren Gewässern. Wieviel Eintrag zu tolerieren ist, bestimmt das Gewässerschutzgesetz, beziehungsweise die dazugehörige Gewässerschutzverordnung. Und hier bewegt sich nun etwas: Das  Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) hat kommuniziert, dass es die Grenzwerte für einige Pestizide nach unten korrigiert. Bei Gewässern aber, die nicht der Trinkwassernutzung dienen, gibt es auch Anpassungen der Grenzwerte nach oben. Diese Unterscheidung zwischen genutzten und nicht genutzten Gewässern ist befremdend.

Für einzelne Gifte gelten strengere Werte

Bisher galt für alle Pestizide ein pauschaler Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter im Gewässer. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Konzentration der Substanzen für das Ökosystem und den Menschen nicht schädlich ist, wenn er sie beispielsweise über das Trinkwasser konsumiert.

Allerdings gibt es Pestizide, die schon in wesentlich geringeren Mengen ökologische Wirkung entfalten können. Dabei handelt es sich um Substanzen, die besonders giftig sind. Für verschiedene Einzelstoffe sind die Grenzwerte deswegen nun konkret evaluiert worden. Für einige dieser Giftstoffe gilt darum neu ein Grenzwert unterhalb der 0.1 Mikrogramm. Dabei wird zwischen akuter und chronischer Belastung unterschieden. Bei chronischem Auftreten der Belastung darf zum Beispiel Cypermethrin, ein Insektizid das in der Land- und Forstwirtschaft Anwendung findet, zukünftig nur noch in einer Konzentration von 0.00003 Mikrogramm (ca. 3000 mal weniger als vorher) pro Liter vorkommen.

Gewässer zweiter Klasse

Noch vor einem Jahr plante der Bundesrat, die Grenzwerte für diverse Stoffe zum Teil massiv nach oben anzupassen. Aufgrund der Reaktionen in der Vernehmlassung hat er den maximalen Grenzwert zumindest für Gewässer die der Trinkwassernutzung dienen bei 0.1 Mikrogramm belassen. Nicht nachvollziehbar bleibt aber, dass der pauschale Grenzwert von 0.1 Mikrogramm zukünftig bei Gewässern, die nicht der Trinwkassernutzung dienen, nicht mehr strikt gelten soll. Neu müssen bei diesen Gewässern mitunter höhere Konzentrationen von Einzelstoffen toleriert werden. Das ist aus Gründen des Vorsorgeprinzips nicht akzeptabel.

Gewässerschutzexperte Michael Casanova zu den Pestizidgrenzwerten

Es insbesondere die kleinen und mittleren Gewässer, die teilweise sehr stark mit Pestiziden belastet sind. Diese werden allerdings kaum für die Trinkwassernutzung verwendet und kommen darum nicht in den Genuss der Deckelung des Grenzwertes auf 0.1 Mikrogramm. In diesen Gewässern hat es aber je mach Standort dutzende von Einzelstoffen, deren Wechselwirkung untereinander kaum untersucht ist. Aus Gründen des Vorsorgeprinzips drängt es sich darum auf, den bisherigen Grenzwert aus ökologischen Gründen auch in diesen Gewässern nicht nach oben aufzuweichen.  Für einige äusserst giftige Pestizide ist dieser Wert ohnehin viel zu hoch.

Für Pro Natura ist deshalb klar, dass der eingeschlagene Weg der Grenzwertanpassungen pro Einzelstoff nicht zum Ziel führt: Gerade die hochtoxischen Pestizide dürften gar nicht mehr verwendet werden – Gewässer und Grundwasser sollten grundsätzlich frei sein von hochpotenten Giften und deren Abbauprodukten.

Und solange nicht geklärt ist, wie die Pestizide untereinander wirken bzw. welche Wirkung sie als Giftcocktail auf die Umwelt haben, muss das Vorsorgeprinzip eingehalten werden. Die sogenannte Mischtoxizität ist eine «Blackbox». Wir wissen schlicht nicht, welche Auswirkungen es hat, wenn mehrere Pestizide gleichzeitig in unseren Böden, unseren Gewässern und unserem Trinkwasser sind.  

Zulassungen weg vom Bundesamt für Landwirtschaft

Weiter fordert Pro Natura dringend eine neue Zulassungspraxis: Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ist nicht die geeignete Zulassungsstelle, weil es sich in einem Interessenskonflikt zwischen den Anliegen der Landwirtschaft und denen der Allgemeinheit befindet. Seit 2007 sind über 140 ursprünglich bewilligte Pestizide wieder vom Markt genommen worden – vielfach auch deshalb, weil sie die Umwelt nachweislich in erheblichem Mass schädigen oder für den Menschen ein Krebsrisiko bergen. Eines dieser Pestizide ist Chlorothalonil. Pro Natura erwartet, dass derart problematische Gifte zukünftig gar nicht mehr erst eine Zulassung erhalten.

Ziel muss sein, dass  hochpotente Pestizide nicht mehr in natürliche Lebensräume eingetragen werden. Nur so können wir die Gesundheit für Menschen, Tiere und Umwelt garantieren. So wie es nicht sein sollte, dass wir mit unserem Trinkwasser Gifte aufnehmen, sollten wir unsere Böden und Gewässer besser vor stofflichen Einträgen dieser Art schützen um das reiche Bodenleben und das ökologische Gleichgewicht nicht weiter derartig zu gefährden.