Stare am Himmel Matthias Sorg
04.03.2019 Raumplanung

Agieren statt reagieren

Mit einer Doppelinitiative für Natur und Landschaft engagiert sich Pro Natura für dringend notwendige Verbesserungen im Umweltschutz.

Die Meldungen der jüngsten Vergangenheit haben wenig Anlass zur Hoffnung für die Zukunft unserer Natur und Landschaft gegeben. Ein paar Beispiele: Im Sommer 2017 ist eine viel beachtete Studie aus Deutschland zum beunruhigenden Schluss gekommen, dass in der Zeit von 1983 bis 2015 die Masse der Fluginsekten um ganze 75 Prozent abgenommen hat, Drei Viertel weniger Käfer, Bienen, Schmetterlinge und Co. – und das nicht etwa in Wohngebieten oder Industrie-Arealen, sondern in einem Naturschutzgebiet. Dieser Weckruf hat es kurzzeitig auch bei uns auf die Frontseiten der Medien geschafft.

In der Schweiz sieht es nicht besser aus: So hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem jüngsten Bericht den Bemühungen der Schweiz zur Erhaltung von Natur und Landschaft ein denkbar schlechtes Zwischenzeugnis ausgestellt: Der Anteil der gefährdeten Arten ist in keinem OECD-Land so hoch wie in der Schweiz. Und die Schweiz hat auch den geringsten Anteil geschützter Flächen unter allen OECD-Staaten. 

Und was sagen uns die Vögel? Der Ende 2018 erschienene Brutvogelatlas der Schweiz zeigt, dass die Bestände vieler Brutvogelarten seit der letzten nationalen Zählung vor zwanzig Jahren deutlich bis massiv abgenommen haben. Die grössten Verluste haben die Vögel des Kulturlandes erlitten.

Schutzgesetz wird zu Abschussgesetz

In krassem Gegensatz dazu steht der mangelnde Wille von Entscheidungsträgern, die Zeichen der Zeit endlich zu erkennen und verantwortungsvoll zu handeln. Die politischen Vorstösse zum massiven Abbau von gesetzlichen Errungenschaften zum Schutz und zur Förderung von Natur und Landschaft werden sogar immer dreister. Jüngste Beispiele sind die nicht enden wollenden Vorstösse zur Dezimierung geschützter Tierarten wie Biber und Wolf. Diese münden momentan in eine Revisionsvorlage des Bundesrates, die das bisher ausgewogene Jagd- und Schutzgesetz zu einem reinen Abschussgesetz reduziert. 

Bedenklich sind auch die nicht enden wollenden Vorstösse zur Lockerung des Bauens ausserhalb der Bauzonen. Der Trennungsgrundsatz zwischen Bau- und Nichtbaugebiet wird fast schneller aufgeweicht als die Bagger auffahren können. Dadurch ist ein ausgesprochener Bauboom im Nichtbaugebiet entstanden. Gleichzeitig stehen Landschaftsperlen, nationale Schutzobjekte und wertvolle Ortsbilder zunehmend unter Druck – ade du schöne Postkartenschweiz.

Miserable Umweltbilanz des Parlaments

Seit den Parlamentswahlen 2014 bläst Anliegen von Natur und Landschaft unter der Bundeskuppel ein noch steiferer Wind entgegen: Ausdruck dessen, dass jene zwei Parteien, die nicht eben durch ein Engagement für Natur und Landschaft auffallen, im jetzigen Nationalrat mit 101 Sitzen die Mehrheit stellen. 

Ein Blick in das jüngste Umweltrating bestätigt: Wird im Nationalrat zu Umweltanliegen abgestimmt, liegt die Umweltfreundlichkeit der FDP bei mageren 24,9 Prozent. Geschlagen wird sie lediglich von der SVP mit einer Umweltfreundlichkeit von traurigen 4,6 Prozent. Die logische Konsequenz: Die Nationalratsmehrheit hat kaum Gehör für Umweltanliegen.

Fachleute schlagen Alarm

Dabei haben im Frühjahr 2015, ein halbes Jahr nach den Wahlen, 43 Fachexpertinnen und Fachexperten der Schweiz in ihrem Bericht zum «Zustand der Biodiversität in der Schweiz – Die Analyse der Wissenschaft» klipp und klar festgestellt, dass die Anstrengungen der vergangenen Jahrzehnte für die Erhaltung der Biodiversität nicht ausreichen. Deren positive Wirkungen könnten nicht Schritt halten mit den anhaltenden oder gar zunehmenden Bedrohungen. Und: «Wenn die Biodiversität und die Leistungen der Ökosysteme in der Schweiz erhalten werden sollen, ist es dringlich, dass sich alle Politikbereiche dafür engagieren». So lautete damals das Fazit des Forums Biodiversität als Herausgeberin des Berichtes. Bloss: Der eindringliche Aufruf ist weitgehend ungehört verhallt.

Direktdemokratische Offensive ist angesagt

Es ist höchste Zeit, den Schutz von Natur und Landschaft mit einem kraftvollen Signal in den Fokus der Öffentlichkeit und auf die politische Agenda zu setzen. Verstärkt agieren zugunsten von Natur und Landschaft statt reagieren auf Bedrohungen oder Beeinträchtigungen. Deshalb ist eine direktdemokratische Offensive für Natur und Landschaft angesagt – für die Erhaltung unserer Lebensqualität und unserer Lebensgrundlagen. Die führenden Natur- und Umweltorganisationen der Schweiz – Pro Natura, BirdLife Schweiz, Schweizer Heimatschutz (SHS), Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) und WWF Schweiz – haben sich im Trägerverein «Ja zu mehr Natur, Landschaft und Baukultur» zusammengeschlossen und lancieren gemeinsam zwei Initiativen, die auf den Folgeseiten vorgestellt werden. Zu zwei Kernanliegen, für die besonders dringender Handlungsbedarf besteht: die Förderung der Biodiversität und der Schutz der Landschaft. 

Diese Punkte sollen in der Bundesverfassung konkretisiert werden – für die Zukunft unserer Natur und gegen die Verbauung unserer Landschaft ausserhalb des Baugebietes. Nicht nur die Politik ist gefordert: Die Doppelinitiativen bieten auch die Chance, die Bevölkerung vermehrt über die Bedeutung einer intakten Natur und Landschaft zu informieren und stärker zu sensibilisieren. Damit uns dies gelingt, ist das Engagement von uns allen notwendig. 

Ich freue mich, mich gemeinsam mit Ihnen für das Zustandekommen dieser beiden Initiativen zu engagieren und damit ein kraftvolles politisches Signal für die Erhaltung und Förderung unserer Natur und Landschaft zu senden.

URS LEUGGER-EGGIMANN, Pro Natura Zentralsekretär

Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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