Blick auf Fjord in Norwegen Luka Tomac
20.11.2017 Internationales

«Wut ist eine Kraft!»

An der norwegischen Küste lehnt sich eine Region dagegen auf, dass Fjorde mit giftigem Aushub verseucht werden. Zuvorderst: die Aktivistin Anne-Line Thingnes Førsund.

Im norwegischen Førdefjord sollen mehrere Hundert Million Tonnen chemisch verseuchtes Aushubmaterial versenkt werden. Die norwegische Regierung will den Abbau von Eklogit zur Gewinnung von Titandioxid im nahegelegenen Engebø-Gebirge zulassen, finale Bewilligungen stehen aber noch aus. Die norwegischen Institute für Umwelt, Meeresforschung und Fischerei haben sich gegen dieses Projekt ausgesprochen – ebenso wie 60 regionale Unternehmen aus der Fischereibranche, ihr nationaler Dachverband und der Tourismusverband. Zuvorderst steht aber die Bürgerbewegung, die Anne-Line Thingnes Førsund mitgegründet hat. Die Organisation arbeitet zusammen mit Friends of the Earth Norway, Partnerin von Pro Natura im globalen Naturschutznetzwerk.

Pro Natura: Waren Sie bereits zu Schulzeiten eine Rebellin, die im Klassenzimmer ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit erhoben hat?
Anne-Line Thingnes Førsun:
Ich konnte im Klassenzimmer durchaus protestieren. Aber wahrscheinlich nicht, weil ich eine kleine Rebellin war, sondern weil mir beigebracht wurde, dass meine Stimme gleich wichtig wie jene aller anderen ist.

Waren es Ihre Eltern, die Ihnen das beigebracht haben?
Meine Eltern, aber auch unsere grosse Familie mit Grosseltern, Tanten und Onkeln sowie die Leute aus dem ganzen Dorf, in dem ich aufwachsen durfte. Ich lernte, ihnen zuzuhören, und sie hörten auch mir zu. Es gibt das Sprichwort, dass es zur Erziehung eines Kinds ein ganzes Dorf benötigt. Ich bin der beste Beweis dafür.

Also war es für Sie nur natürlich, Ihre Stimme zu erheben, als bekannt wurde, dass in «Ihrem» Fjord Hunderte Millionen Tonnen verseuchtes Aushubmaterial versenkt werden sollten?
Absolut, mir war sofort klar, dass dieses absurde Projekt nicht nur die grösste Bedrohung aller Zeiten für unseren wunderbaren Fjord darstellt, sondern auch insgesamt für alle norwegischen Fjorde, die damit zu Mülldeponien verkommen könnten. Ich habe deshalb ohne Zögern und Zweifel gehandelt.

Die Regierung hat bis heute an diesem höchst umstrittenen Projekt festgehalten. Hat sich bei Ihnen nie Frustration breit gemacht?
Nicht Frustration, aber Ärger – zum Teil war ich verdammt WÜTEND! Aber schon Johnny Rotten hat gesungen: «Anger is an energy!» (Wut ist eine Kraft!). Das hat auch mich andauernd angetrieben. Dieses ganze Projekt zeigt, wie sehr unsere Politik mit Industrie und Investoren verfilzt ist. Norwegen, das Land der Fjorde, das täglich 38 Millionen Mahlzeiten Fisch exportiert, will für eine Firma mit derzeit nur drei Angestellten seine Fjorde weggeben und chemisch verseuchen lassen. Dagegen werden wir weiterhin mit aller Kraft protestieren, denn bereits liegen aus anderen Regionen weitere Gesuche zur Müllversenkung vor.

Wo zapfen Sie sonst Energie für Ihr Engagement an?
Der Fjord selber ist für mich eine grosse Energiequelle. Um wieder zu meiner Kindheit zurückzukommen: Ich konnte Stunden auf dem Ausguck vor unserem Haus verbringen und den Vögeln, Fischen und anderen Tieren zuschauen. Schon damals war für mich klar, dass wir in ein grosses Abenteuer hineingeboren werden und wir Menschen Teil einer grossen Gemeinschaft zwischen den Arten sind. Mein Engagement gibt auch meiner Sorge Ausdruck, dass die Balance dieser Gemeinschaft verloren geht und dass zwischen uns Menschen und den restlichen Tier- und Pflanzenarten ein Kollaps entsteht.

Raphael Weber, Chefredaktor Pro Natura Magazin.

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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