21.12.2015

Abschussbewilligung für Calanda-Jungwölfe: Vorschnelle Überreaktion

Das Bundesamt für Umwelt BAFU hat dem Abschuss von zwei Jungwölfen aus dem Calanda-Rudel zugestimmt, und die Kantone St. Gallen und Graubünden haben die Bewilligung zu den Abschüssen erteilt. Pro Natura und der WWF Schweiz kritisieren die Entscheide als vorschnell und nicht nachvollziehbar. Das Vorgehen der Behörden steht einer pragmatischen Wolfspolitik im Weg, weil es ohne Not Ängste schürt statt abbaut. Die Umweltverbände plädieren für mehr Sachlichkeit bei den Behörden.


«Erhebliche Gefährdung von Menschen» – das ist der massgebliche Grund, weshalb die Kantone SG und GR um eine Abschussbewilligung für zwei Jungwölfe nachsuchten. Eine solche Gefährdung durch Wölfe wird angenommen, wenn sich Wölfe aus einem Rudel «aus eigenem Antrieb regelmässig innerhalb oder in unmittelbarer Nähe von Siedlungen aufhalten» (Art.4 Jagdverordnung). Ausserdem setzt die Verordnung eine mangelnde Scheu oder offensichtliche Aggressivität voraus. Diese Tatbestände sind aus Sicht der Verbände bei den Calanda-Jungwölfen nicht erfüllt.

Pro Natura und WWF Schweiz kritisieren den Entscheid der beiden Kantone sowie des Bundesamtes für Umwelt BAFU aus folgenden Gründen:

  • Pro Natura und der WWF haben bereits bei der Revision der Jagdverordnung die unklare Interpretation der Gesetzesbestimmung «Gefährdung von Menschen» kritisiert, weil diese bereits völlig normale Situationen als mögliche Gefahr darstellt und unbegründet die Ängste der Bevölkerung schürt.
  • Selbst wenn sich Wölfe – wie ihre natürlichen Beutetiere – hin und wieder Siedlungen nähern, ist das nicht ungewöhnlich. Diese Erfahrungen hat man bereits in den meisten Ländern mit Wolfsvorkommen gemacht, ohne dass dabei Menschen gefährdet waren.
  • Die Kantone SG und GR sowie das BAFU reagieren voreilig und auf den politischen Druck der Wolfsgegner. Der angestrebte Lerneffekt auf die zurückbleibenden Wölfe folgt dem Prinzip Hoffnung und ist fachlich fragwürdig.
  • Werden Rudel durch Abschüsse dezimiert, wird der Sozial-Verband destabilisiert, und es kann zu mehr Nutztierrissen oder auffälligerem Verhalten kommen. Es ist daher gut möglich, dass Abschüsse von Rudeltieren mutmassliche Probleme nicht lösen, sondern weitere schaffen.
  • Die Kantone SG und GR und das BAFU fördern mit ihrer Überreaktion ein Klima der Angst und Unsicherheit. Dies erschwert eine pragmatische, besonnene Wolfspolitik, die unaufgeregt auf eine konfliktarme Ko-Existenz hinarbeitet. Vielmehr ist nun eine sachliche Informations- und Aufklärungsarbeit von Seiten der Kantone gefordert. Die Kantone müssen auch dafür sorgen, dass künftig keine Futterquellen wie beispielsweise Schlachtabfälle und Luderplätze in Siedlungsnähe vorhanden sind.

Wölfe sind als rückkehrende, einheimische Beutegreifer eine wichtige Bereicherung der Natur. Sie sind wertvolle Gesundheitspolizisten für den Wildbestand. Ihre Präsenz führt zu einem veränderten Verhalten der Huftierbestände und vermindert den Druck auf den Jungwald – gerade im Schutzwald ist das ein grosser Nutzen. Es ist deshalb eine veraltete Haltung, weiterhin nur über «Schäden» zu sprechen.

Die beiden Umweltverbände werden das Abschussdossier prüfen und behalten sich rechtliche Schritte vor.


Weitere Auskünfte:
Mirjam Ballmer, Pro Natura, Projektleiterin Naturschutzpolitik, 079 416 65 94, @email
Gabor von Bethlenfalvy, Grossraubtier-Experte WWF Schweiz, 076 552 18 09, @email