Schneekanon für fahrbare Pisten Matthias Sorg
05.03.2018

«Beim Wallis weiss man nie!»

Anfang Juni entscheidet die Walliser Stimmbevölkerung, ob der Kanton die Kandidatur von Sion für die Olympischen Winterspiele 2026 unterstützen soll. Thierry Largey, Walliser Kantonsrat für die Grünen und Geschäftsführer von Pro Natura Wallis, geht davon aus, dass sich die Fronten bis dahin verhärten werden.

Pro Natura Magazin: Im Juni wird das Wallis an der Urne über Sion 2026 befinden. Zeichnet sich schon ein Trend ab?

Thierry Largey: Dazu ist es noch etwas früh, die Kampagne läuft erst an. Würde heute abgestimmt, käme wohl ein Nein zu Olympia heraus. Aber bis im Juni kann noch viel passieren. Die Argumente für ein Nein lassen sich zwar gut begründen, aber beim Wallis weiss man nie. Die Walliser fühlen sich oft übergangen und möchten dadurch dem Rest der Schweiz umso mehr zeigen, dass man auch ein grosses Projekt stemmen kann. Dazu kommt ein starkes Identitätsgefühl - alle Exil-Walliser würden das bestätigen. Warum sollte man sich also nicht hinter einem Projekt zusammenscharen, das verbindet? 

Glauben Sie wirklich, dass ein solches Projekt verbindet?

Ich selber nicht. Ich halte das Ganze für ein Projekt einiger Vertreter aus der Welt des Sports, der Immobilienbranche und der Politik, die vor allem sich selbst einen Gefallen tun möchten. Sie glauben tatsächlich, dass Olympische Spiele ein Gemeinschaftsprojekt seien. Und nachhaltig. So versucht man, dem Volk die bittere Pille schmackhaft zu machen. Aber nein, Olympische Spiele heute können nicht nachhaltig sein, auch in Sion nicht.

Aber hat die Vorlage Ihrer Ansicht nach eine Chance?

Es hat schon mal schlecht angefangen. Umso mehr, als man nach dem Abgang von Jean-Philippe Rochat den SVP-Nationalrat Jürg Stahl, Präsident von Swiss Olympic, eingespannt hat, um das Komitee zu präsidieren. Ich habe ja gerade die Frage der Identität angesprochen - wer im Wallis kann sich schon mit dieser Persönlichkeit identifizieren? Wer kennt den Mann überhaupt? Aber davon abgesehen: Das Wichtigste sind in meinen Augen die ökologischen Mängel dieser angeblich so nachhaltigen Spiele. Das Bewerbungsdossier ist in Sachen Umweltverträglichkeit und Kompensationsmassnahmen dermassen schwach, dass die Stiftung für die Nachhaltige Entwicklung der Bergregionen einen umfassenden Bericht verlangt hat, der die ökologischen Auswirkungen ernsthaft untersucht. Diese Untersuchung wurde zwar durchgeführt, die Ergebnisse wurden aber noch nicht veröffentlicht. Warum nicht? Weil sie die Mängel bestätigen oder weil die Ergebnisse zuerst noch präsentabler aufbereitet werden sollen?

Wo liegen denn die Schwächen genau?

Davon gibt es viele. Für mich sind es im Wesentlichen die Fragen der Mobilität und die Problematik der Wasser- und Energieversorgung. Was machen wir, wenn es im Winter 2026 nicht schneit? Oder wenn der Schnee sofort wieder wegschmilzt, weil das Wetter zu mild ist? Beispiel alpine Skiwettbewerbe: Crans-Montana liegt an einem Südhang und sucht heute schon nach neuen Trinkwasservorkommen, um die gegenwärtigen Bedürfnisse zu decken. Für Olympia soll nun aber massiv in Schneekanonen investiert werden. Es ist absehbar, dass die Befürworter nun zweifellos den aktuellen schneereichen Winter ins Feld führen werden, um widerspenstige Geister bändigen.

Wenn die Schwachpunkte der Kandidatur so offensichtlich sind - warum sprechen sich dann so wenige prominente Walliser offen gegen die Spiele aus? Wovor hat man im Wallis Angst?

Das Wallis ist immer ein bisschen anders. Kritische Stimmen haben es oft schwer. Man fürchtet, dass man angefeindet wird oder Druck auf einen ausgeübt wird, wenn man sich gegen ein Projekt ausspricht, das Meinungsmacher und Wirtschaftsvertreter im Kanton befürworten. Solche Ängste sind aber meist unbegründet. Mir kommt da der Fall eines Politikers in den Sinn, der den Mut hatte, im Rahmen des Raumplanungsgesetzes grosse Flächen in seiner Gemeinde unter Schutz zu stellen - und doch wiedergewählt wurde. 

Von Seiten der Naturschützer ist es aber auch eher ruhig ...

Momentan noch, ja. Aber der Startschuss für die Kampagne fällt demnächst. Die Organisation braucht etwas Zeit, man muss erst die richtigen Mitstreiter finden, Argumente entwickeln und Antworten auf alle Fragen bereithaben, die gestellt werden - und deren gibt es viele. Pro Natura Wallis hat sich gefragt, ob man das Projekt begleiten sollte, damit die Anforderungen an die Nachhaltigkeit wirklich ernst genommen würden. Aber zwischen der Vergabe der Spiele und der Veranstaltung selber kann man kaum mehr etwas bewirken. Selbst die Träger der Kandidatur haben für bestimmte Bereiche noch keine Lösung, namentlich bei den unvermeidlichen Zusatzkosten. Die Bevölkerung muss eines wissen: So, wie uns das Projekt heute präsentiert wird, werden die Kosten für die Spiele zum Grossteil auf ordentliche Gemeinde- und Kantonsbudgets in zukünftigen Jahren abgewälzt.

Wie würden wirklich nachhaltige Olympische Spiele denn aussehen?

Alle sprechen doch immer von Globalisierung - nutzen wir das Schlagwort also mal für Olympia. Es wäre sehr interessant, Olympische Spiele mal in einer globalisierten Version zu evaluieren. Dabei wäre die Idee, die Anlagen dort zu nutzen, wo sie bereits stehen oder wo eine bestimmte Sportart zur Kultur gehört, zum Beispiel Langlauf in Norwegen oder Eishockey in Kanada oder der Schweiz. Das wäre viel günstiger, auf jeden Fall nachhaltiger und  definitiv demokratischer, denn Intrigen wie heute bei der Vergabe von Olympischen Spielen wären so nicht mehr möglich. Zeit also für Alternativen: globalisierte und wirklich nachhaltige Olympische Spiele sowie ein vielfältiges Tourismus-Modell, das langfristig ausgerichtet ist und von dem alle Walliser profitieren würden.

Florence Kupferschmid-Enderlin ist Redaktorin der französischsprachigen Ausgabe des Pro Natura Magazins.

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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