Ein Blick aus dem dunklen Bruderloch Raphael Weber/Pro Natura
04.02.2020

Höhlen: verborgene Vielfalt

Höhlen gelten für viele Menschen als dunkle, leblose Räume, tatsächlich aber beherbergen sie zahlreiche hoch spezialisierte Tierarten. Diese sind sehr störungsempfindlich.

Verborgen unter der Erdoberfläche liegt eine faszinierende, wenig erforschte Welt. Die Schönheit der natürlichen Höhlen kommt jedoch gar nicht zur Geltung, denn ihre bizarren Gesteinsformationen und bunten Farben sind von permanenter Dunkelheit umhüllt.

Konstante Temperaturen …

In dieser Umgebung ist es aber nicht nur dunkel, sondern auch konstant kühl. Die Temperaturen liegen in fast allen Höhlen konstant zwischen sieben und neun Grad Celsius. Die Luftfeuchtigkeit ist stets sehr hoch. Ebenso zeichnet die Höhlen ein äus­sert geringes Nahrungsangebot aus, denn organisches Material gelangt nur in geringen Mengen durch Wasser, die Luft oder Tiere in die Unterwelt. Gerade diese Besonderheiten machen unsere Höhlen für viele Organismen zu wertvollem Lebensraum. Um unter den genannten Bedingungen leben zu können, braucht es aber spezielle Anpassungen. Pflanzen existieren in Höhlen nicht, weil sie ohne Sonnenlicht keine Photosynthese betreiben können. Höchstens am Höhleneingang oder in künstlich beleuchteten Höhlen wachsen Algen, Moose und Farne, die sonst an der Erdoberfläche an schattigen und feuchten Standorten gedeihen.

Einige Tiere konnten sich aber mehr oder weniger gut anpassen und profitieren von einer kleineren Zahl an Konkurrenten und Feinden sowie einer Fortpflanzung, die nicht an Jahreszeiten gebunden ist, sondern das ganze Jahr über möglich ist. Über die Lebensweise dieser Tiere ist erst wenig bekannt, und es besteht noch grosser Forschungsbedarf. Da viele Höhlentiere endemisch sind und nur in einzelnen Höhle vorkommen, werden immer wieder neue Arten entdeckt.

… für Superspezialisten …

Höhlentiere werden in ökologische Gruppen eingeteilt. Die echten Höhlentiere, die Troglobionten, haben sich perfekt angepasst und sind hoch spezialisiert. Sie kommen in den innersten Regionen der Höhlen vor und können ausserhalb auf Dauer nicht überleben. Sie sind meistens klein und benötigen dadurch weniger Nahrung. Viele sind farblos, blass, beinahe durchsichtig, weil die Hautpigmentierung fehlt, die zum Schutze vor Sonneneinstrahlung nötig wäre. Die Augen sind oft zurückgebildet. Umso besser ausgebildet sind hingegen die lichtunabhängigen Geruchs- und Tastsinne. Lange Antennen, Tasthaare und andere Tastorgane helfen bei der Orientierung in der Finsternis. Um mit der Nahrungsknappheit klar zu kommen, schränken die echten Höhlentiere den Energieverbrauch ein, indem sie den Stoffwechsel verlangsamen und sich nur wenig bewegen. Zu den troglo­bionten Tieren gehören zum Beispiel Brunnenschnecken oder der Grottenolm – ein blinder Schwanzlurch, der in der Schweiz jedoch nicht vorkommt.

… und regelmässige Besucher

Etwas weniger eng an Höhlen gebunden sind höhlenliebende, sogenannt troglophile Arten. Sie werden unterteilt in eutroglophile und subtroglophile Tiere. Eutroglophile sind im Gegensatz zu den Troglo­bionten in der Lage, auch ausserhalb von Höhlen zu leben, verbergen sich dort aber unter Steinen, Laub und Baumrinden. Sie können sich in der Höhle fortpflanzen. Zu dieser Gruppe zählen unter anderem Ringelwürmer, Springschwänze, Spinnen und Käfer.

Subtroglophile Arten gastieren nur für eine begrenzte Zeit in Höhlen. Sie können sich dort gut orientieren, verlassen die Höhle aber zumindest zur Nahrungsaufnahme. Gewisse Schmetterlinge und Fledermäuse beispielsweise finden ideale Bedingungen, um zu überwintern. Andere Arten nutzen den unterirdischen Lebensraum, um im Sommer der Hitze und Trockenheit auszuweichen oder sich zu paaren. Neben den troglobionten und troglophilen gibt es auch noch sogenannte trogloxene Arten: Dies sind Tierarten, die zufällig in Höhlen gelangen und dort auf Dauer nicht überleben können.

Fragile Lebensräume

Da in Höhlen hoch spezialisierte Arten leben, können schon kleine Eingriffe des Menschen in diese Ökosysteme negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt des subterranen Lebensraums haben, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Der Höhlentourismus beispiels­weise kann die Artengemeinschaften beeinflussen. Grosse Besucherzahlen können lokal die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit sowie die Zusammensetzung der Luft verändern. Zurückgelassene Abfälle begünstigen das Aufkommen von schädlichen Schimmelpilzen. Und vor allem können Lärm- und Lichtemissionen einen sehr unmittelbaren und negativen Einfluss auf die Höhlenbewohner haben – etwa auf Fledermäuse, die sich im Winterschlaf befinden.

Die Schweizerische Gesellschaft für Höhlenforschung (SGH) weist in ihrem Ehrenkodex für die Höhlenforschung denn auch darauf hin, dass «jeder Höhlenbesuch zur Zerstörung der Höhle beitragen kann». Eigenhändige Erkundungen sollten deshalb unterlassen werden. Wer Untergrundluft schnuppern will, kann eine touristisch zugängliche Höhle besuchen. Wer Lust auf mehr bekommt, soll sich bei der Schweizerischen Gesellschaft für Höhlenforschung melden, um an fachkundigen Höhlenbegehungen teilnehmen zu können. So können die negativen Auswirkungen auf all die hochsensiblen Tierarten, von denen wir in diesem Magazinthema einige vorstellen, minimiert werden.
 
Sabine Mari leitet bei Pro Natura das Projekt Ratgeber.

Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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