Senklochdeckel an Feldrand Rico Kessler
17.05.2021

Interview mit Roman Wiget: «Viele synthetische Pestizide sind praktisch nicht abbaubar»

Die Schweiz habe ein Trinkwasserproblem, das noch Jahrzehnte andauern werde, sagt Roman Wiget, Geschäftsführer der Wasserversorgung Seeland. Deshalb sei es jetzt wichtig, die Weichen richtig zu stellen.

Pro Natura Magazin: Herr Wiget, trinken Sie das Wasser bedenkenlos, das im Seeland aus den Hähnen kommt?

Roman Wiget: Ich wohne in Nidau und trinke es, aber mache mir schon meine Gedanken. Ich finde, dass wir zu leichtsinnig umgehen mit unserem Trinkwasser.

In vielen Ackerbaugebieten der Schweiz finden sich im Trinkwasser hohe Rückstände an Pestiziden. Hat die Menge der verwendeten Pestizide zugenommen, oder wurden die Messmethoden genauer?

Ob die Mengen zugenommen haben, weiss ich nicht: Das Bundesamt für Landwirtschaft hat als bisherige Zulassungsbehörde nur ungenügende Daten geliefert. Man weiss nicht, nach welchen Pestizidrückständen man überhaupt suchen muss. Dies verunmöglicht es, allfällige Fehlzulassungen von Pestiziden rechtzeitig zu entdecken. Wird ein neuer Stoff gefunden, fehlen in der Regel belastbare Einschätzungen, und das Problem wird verharmlost.

Das zeigt das Beispiel der Chloridazon-Rückstände im Trinkwasser: Obschon das Problem schon seit über zehn Jahren bekannt ist, hat man dieses Zuckerrüben-Spritzmittel erst jetzt verboten. Anstatt damals das Trinkwasser umfassend zu schützen, machte man das Gegenteil: Man führte die Kategorie der «nicht relevanten Abbauprodukte» von Pestiziden ein, für welche viel weniger strenge Grenzwerte gelten.

Grosse Sorgen bereitet auch das Pestizid Chlorothalonil, das in der Schweiz mittlerweile verboten wurde. Als Geschäftsführer der Seeländischen Wasserversorgung mussten Sie deswegen eine Wasserfassung schliessen. Was ist passiert?

Das war sowohl für uns Wasserversorger als auch für die Behörden eine riesige Überraschung, als 2019 die hohen Konzentrationen der Chlorothalonil-Rückstände erstmals gemessen wurden. Dass eine bislang unbekannte Stoffgruppe so grossflächig und in derart hohen Konzentrationen im Grund- und Trinkwasser vorhanden ist, erwartete niemand. Es gab bis zu 20-fache Überschreitungen des Grenzwerts. In unserem Versorgungsgebiet haben wir aus diesem Grund mehrere Wasserfassungen schliessen müssen. Im Sommer, wenn am meisten Wasser verbraucht wird, werden wir jedoch wieder auf sie zurückgreifen müssen.

Ist auch die stark zunehmende Giftigkeit der Pestizide ein Problem?

Für die Biodiversität ist die Giftigkeit der eingesetzten Pestizide entscheidend. Für uns Wasserversorger spielen dagegen die Löslichkeit und insbesondere die Langlebigkeit eine grössere Rolle: der Umstand, dass viele synthetische Pestizide praktisch nicht abbaubar sind. Die im Biolandbau verwendeten Pestizide dagegen bauen sich schnell ab, mit Ausnahme von Kupfer.

Ist dies ein Grund, weshalb Sie sich für die Trinkwasserinitiative aussprechen?

Absolut, ich sehe die langfristigen Auswirkungen der Nitrat- und Pestizidbelastung. Und ich finde, dass die Behörden sehr langsam und schwerfällig auf diese Herausforderungen reagieren. Deshalb unterstützte ich – als Privatperson – sowohl die Trinkwasser- wie die Pestizidinitiative.

Die beiden Volksinitiativen haben schon vor der Abstimmung etwas bewirkt. So will das Parlament einen Absenkpfad für den Einsatz von Pestiziden um 50 Prozent. Was halten Sie davon?

Was davon übrig bleibt, werden wir sehen, es läuft zurzeit ja das Differenzbereinigungsverfahren. Der informelle Gegenvorschlag zu den beiden Volksinitiativen bringt zwar Fortschritte, hat aber zwei Konstruktionsfehler: Mit den Verschärfungen in den sogenannten Zuströmbereichen (woher das meiste Grundwasser kommt und die um die engeren Schutzzonen liegen) wird der Ball den Kantonen zugespielt, die an dieser Aufgabe seit über 20 Jahren verzweifeln: Dieser Zwei-Klassen-Gewässerschutz ist illusorisch und nicht vollziehbar. Besser wäre es, das Grundwasser überall gleich gut zu schützen, nicht nur in speziellen Zonen. Der zweite Konstruktionsfehler betrifft die Nitratverschmutzung durch Überdüngung. Hier fehlt jegliche Verbindlichkeit.

Hat die Schweiz generell ein Problem mit der Qualität des Trinkwassers, zumindest in den Ackerbaugebieten?

Ja, und es wird Jahrzehnte brauchen, um diese Belastungen abzubauen. Auch in Gebieten ohne Ackerbau sind die Pestizidbelastungen flächendeckend nachweisbar, jedoch in tiefen Konzentrationen. Verglichen mit anderen Ländern ist die Qualität unseres Trinkwassers zwar nach wie vor recht hoch, was an unserem Privileg als Wasserschloss Europas liegt: Wir sind die Erstnutzer unserer Wasserressourcen. Der Klimawandel wird aber unsere bestehenden Probleme weiter verschärfen, da in Trockenphasen die positiven Effekte der Verdünnung wegfallen. Wir sollten deshalb jetzt unbedingt reagieren und unsere Trinkwasserressourcen besser schützen.

Wegen ihrer Kritik an den hohen Pestizideinsätzen in der Landwirtschaft wurden Sie letzten Herbst gar aus dem Schweizerischen Verband des Gas- und Wasserfaches (SVGW) ausgeschlossen. Waren Sie zu kritisch eingestellt?

Das müssen Sie den Verband fragen. Ich finde, der Schutz unseres Trinkwassers muss dringend verbessert werden, und es ist die prioritäre Aufgabe unseres Verbands, sich auf politischer Ebene ohne Wenn und Aber dafür einzusetzen. Das hat er leider bisher nicht getan.

Interview: Stefan Boss

«Der Klimawandel wird unsere bestehenden Probleme weiter verschärfen», sagt Roman Wiget. Deshalb müssten jetzt unsere Trinkwasserressourcen besser geschützt werden.

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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