Verbaute Küste in Belgien Matthias Sorg
17.10.2022

Grenzenloses Wachstum – auch 50 Jahre danach

1972 formulierte der Club of Rome einen einfachen Gedanken: Die natürlichen Ressourcen sind begrenzt. Unser Wirtschaftsmodell behandelt die Natur aber auch ein halbes Jahrhundert später weiterhin wie eine unerschöpfliche Rohstoffquelle.

Bei seiner Veröffentlichung hätte der Bericht des Club of Rome wie eine Bombe einschlagen können. Er prophezeite nämlich, dass das System im Verlauf des 21. Jahrhunderts in sich zusammenbrechen wird, wenn die Menschheit am Ziel des ungebremsten Wirtschaftswachstums festhält. «Zusammenbruch» meint hier einen starken und raschen Rückgang der Bevölkerung, der Ressourcen, der Nahrungsmittelproduktion sowie der industriellen Fertigung pro Kopf.

Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MTI), die den Bericht verfasst hatten, gab es nur eine Alternative: Das weltweite Bruttoinlandprodukt BIP auf dem Niveau von 1975 stabilisieren und dafür sorgen, dass technischer Fortschritt in keinem Fall zu mehr Verbrauch führt.

Bekanntlich haben wir aber einen anderen Weg eingeschlagen. «Wenn wir so weitermachen, werden die Krisen immer schlimmer», gibt Julia Steinberger, Professorin für Ökologische Ökonomik an der ETH Lausanne ETHL und akademische Co-Leiterin des ETHLCLIMACT- Zentrums, zu bedenken. Wenn aber Wirtschaftswachstum in relativ kurzer Zeit zur Vergangenheit gehören soll, wie organisiert man sich dann? Und vor allem: Wie kriegt man die Kurve?

«Indem man sich vom Konzept des anhaltenden Wachstums verabschiedet», sagt Thimothée Parrique, Ökonom und Dozent an der Universität Lund (Schweden), der gerne auch den Begriff «Post-Wachstum» verwendet. «Wir müssen uns als integralen Bestandteil der Natur definieren. Wenn wir eine Beziehung des Mitgefühls mit der Natur – mit Tieren, Pflanzen, Gewässern und Ökosystemen – pflegen, dann können wir sie nicht mehr so misshandeln und sie weiter plündern.» Steinberger, eine der Co-Autorinnen des IPCC-Berichts des Weltklimarates vom vergangenen April, schlägt in die gleiche Kerbe: «Die Prioritäten sind dann richtig gesetzt, wenn sie unser Überleben ins Zentrum stellen. Wir müssen also dafür sorgen, dass die Bewohnbarkeit unseres Planeten gewährleistet bleibt.»

Letzte Chance?

Am 29. August 2022 wurde das 8. Festival der Bürgerbewegung Alternatiba in Genf eröffnet, die sich für dringende Klimamassnahmen einsetzt. Bei der Eröffnungsveranstaltung forderte Julia Steinberger in ihrer Rede, dass eine neue Wirtschaft umgehend sämtliche Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Abbau fossiler Energien einstellt. «Die Branche für fossile Rohstoffe, ebenso wie die Agrolandwirtschaft und die Investoren, die das Geld zur Verfügung stellen, verüben nichts weniger als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»

Die Klimaerwärmung sei zwar nicht mehr aufzuhalten, so die Expertin, aber die nötigen Instrumente zur Dekarbonisierung der Wirtschaft seien heute schon vorhanden. «Der IPCC-Bericht listet im 5. Kapitel explizit Szenarien auf Grundlage eines sparsamen Energieverbrauchs auf. Die heute verfügbaren Technologien und unser Wissen zur Organisation von Gesellschaft und Infrastruktur zeigen, dass wir auch dann ein angenehmes Leben führen können, wenn wir unseren Energieverbrauch drastisch einschränken. Wir könnten den Energiebedarf über alle Branchen gerechnet um 40 bis zu 70 Prozent zurückfahren.»

Einkaufszentrum Westside Matthias Sorg
Einkaufszentren wuchsen in den vergangenen Jahrenzehnten aus dem Boden.
Wäscheleine mit gewaschener Wäsche
118 Kleidungsstücke liegen im Schnitt in einem Schweizer Schrank. 1970 waren es 70.

Wirkungsvoller Aktivismus

Unsere Systeme allerdings sind komplex. Oft ist unklar, wo angesetzt werden soll, um den notwendigen radikalen Wandel herbeizuführen. Steinberger verweist auf Donella Meadows, Pionierin der Systemtheorie. «Es braucht ein engagiertes Auftreten und eine direkte Konfrontation mit den Systemen, um sie wirklich zu verstehen. Aus der Art und Weise, wie die Systeme reagieren, lässt sich ablesen, wo wir ansetzen müssen, um sie zu verändern.»

Auch Timothée Parrique ist der Ansicht, dass es nicht ohne wirkungsvollen Aktivismus geht. «Immer mehr Menschen weigern sich, einem System zuzudienen, dass die Erde zerstört. Wir haben ein kollektives Interesse daran, dass die Leute Risiken eingehen. Dazu gehört das Ablehnen sinnloser Arbeit und der Massenproduktion unnützer oder gefährlicher Güter. Und dazu gehört vor allem, dass wir die geistige Trägheit ablegen, die Wachstum anhand von nebulösen Zahlen schönredet.» Steinberger und Parrique haben ihre Ärmel hochgekrempelt und fordern uns auf, es ihnen gleich zu tun – denn es braucht noch viel, bis sich etwas ändert.

MURIEL RAEMY ist freischaffende Journalistin.

Verpasstes Rendez-vous mit der Geschichte
Im April 1968 schloss sich eine Gruppe aus Diplomaten, Akademikern und Vertretern aus Industrie und Zivilgesellschaft unter dem Namen «Club of Rome» mit dem Ziel zusammen, die langfristige Zukunft der Welt zu denken. 1970 gab der Club of Rome bei einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Massachusetts Institute of Technology (MIT) unter der Leitung von Donella und Dennis Meadows sowie Jorgen Randers einen Bericht in Auftrag. Das Ergebnis mit dem Titel «The Limits to Growth» (Die Grenzen des Wachstums) war der Startschuss für die wachstumskritische Bewegung. Er wurde im März 1972 veröffentlicht, drei Monate vor der ersten UNO-Umweltkonferenz in Stockholm. «Die Grenzen des Wachstums» war die erste Studie, die konsequent die Gefahren durch die Konsumgesellschaft herausarbeitete und erstmals von einem Nullwachstum sprach. Allerdings blieb der Bericht aufgrund des Zeitpunkts seiner Publikation am Ende des goldenen Zeitalters von 1945 bis 1975 trotz einer Auflage von 12 Millionen Exemplaren und der Übersetzung in 30 Sprachen weitgehend ungehört.

Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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