Les Pontins Raphael Weber
06.10.2023

Ein heilsamer Schock

Manchmal sind Ökosysteme derart beeinträchtigt, dass sie sich nicht mehr selber regulieren. Insbesondere in Mooren braucht es Massnahmen, damit der Lebensraum wieder eine Oase der Biodiversität werden kann.

Das Hochmoor von Les Pontins befindet sich im Berner Jura in der Nähe des ­Chasserals. Es verdankt seine Existenz ­relativ undurchlässigem Boden, der am Ende der letzten Eiszeit beim Rückzug der Gletscher entstand. Dieser Boden begünstigte das Entstehen einer Moorvegetation, und ein feuchtes Mikroklima sorgte dafür, dass Pflanzenreste nicht vollständig ­abgebaut wurden, sondern Torf bildeten.

Jahrhundert für Jahrhundert wurde die Torfschicht dicker, bis die Vegetation über dem Wasserspiegel zu liegen kam und die Flachmoorvegetation derjenigen eines Hochmoors wich, das mit Niederschlag ­allein zurechtkommt. Um den Beginn des 20. Jahrhunderts herum brachte der ­Abbau von Torf als Brennstoff das jähe Ende der Jahrtausende währenden Ruhe. Der von der Hochmoorvegetation gebildete Torf verschwand, und um 1970 wurde im östlichen Teil des Moors ein weitläufiges Grabensystem angelegt, um das Moor zu entwässern. Die Austrocknung des ­Bodens führte oberflächlich zu einer Zerstörung des Torfs. Dieser Teil des Moors verschwand schliesslich im Schatten eines monotonen Fichtenwalds − eine Entwicklung, die die Natur aus eigener Kraft nicht mehr rückgängig machen konnte. Und die Entwässerungsgräben entzogen dem Moor weiterhin das lebensnotwen­dige Wasser. Deshalb schaltete sich Pro ­Natura ein und sorgte dafür, dass das Moor wieder seine typische Vegetation entwickeln kann und vom Aussterben ­bedrohte Tier- und Pflanzenarten erneut heimisch werden können.

Umfangreiche Arbeiten

Arbeiten beim Moor Bastien Amez-Droz
Ein heftiger Eingriff für das Ökosystem Moor – mit unerwartet grossem Nutzen für die Biodiversität.

Im September 2015 – vier Jahre nach den ersten Gesprächen und der Ausarbeitung einer Detailplanung – fuhren 20 Tonnen schwere Bagger auf. Zuvor waren zwei Hektaren Fichtenwald entfernt worden. Dank spezieller Raupen zum Schutz des besonders sensiblen Torfbodens und der Fertigkeit der Baggerfahrer waren die ­Arbeiten bereits Mitte November beendet. Auf einer Länge von einem Kilometer wurden Seitengräben zugeschüttet und der zwei Meter tiefe Hauptabzugsgraben mithilfe von neun Holzspundwänden ­verschlossen. Ergebnis der Renaturierungsarbeiten: ein heftiger Eingriff für das Ökosystem, ein Boden, der nun aber ­wieder mit Wasser vollgesogen ist, und zwei Hektaren nackter Torf. 

Spektakuläre Entwicklung

Moor Raphael Weber

Wir haben uns dafür entschieden, der ­Natur die Chance zu lassen, aus eigener Kraft mit dieser neuen Situation umzu­gehen. Die im Herbst 2016 spontan ­zurückgekehrte Vegetation hat unsere ­Erwartungen sogar übertroffen. Die weitere Entwicklung seither ist spektakulär: Es haben sich typische, aber auch seltene Arten wieder eingefunden, und das ­Torfmoos hat sich im flacheren Teil rasch wieder etabliert. Torfmoos verwandelt ein Flachmoor in ein Hochmoor, wie es vor gut einem Jahrhundert im Ostteil des ­Marais des Pontins schon einmal existiert hat. Dank der entstandenen Wasserstellen ist das Moor heute ein Lebensraum für Tausende Amphibien und Libellen. 

Veritable Diversitätsexplosion

Nicht nur das Herz des Moors hat sich ­erneuert, in den am höchsten gelegenen Bereichen kam es zu einer veritablen ­Diversitätsexplosion. Insekten und Vögel kommen und bedienen sich zahlreich. Die wunderschönen violetten Blüten der ­Disteln ziehen bestäubende Insekten ­magisch an, und ihre Samen bieten im Sommer eine wertvolle Nahrungsquelle für Distelfinken. 

Die Renaturierungsarbeiten waren ­sicherlich ein Schock für das Ökosystem, vor allem aber bedeuteten sie die Rettung für diesen beeinträchtigten Lebensraum. Nur wenige Jahre brauchte es, bis aus dem düsteren, fast schon öden Fichtenwald wieder eine Oase der Biodiversität entstehen konnte, die sich von den um­liegenden Fettwiesen merklich abhebt. Die Kosten eines solchen Projekts – sie entsprechen mit ca. 700 000 Franken etwa einem kleineren Verkehrskreisel – lohnen sich: Die positiven Auswirkungen auf der Fläche von sechs Fussballfeldern werden noch weit über unsere Lebenserwartung hinaus Bestand haben.

Nächste Etappe: Rothenthurm 

Rothenthurm (SZ) beherbergt den grössten hiesigen Hochmoorkomplex und ist das Synonym für den Moorschutz in der Schweiz schlechthin. Trotzdem sind die Spuren des Menschen überall sichtbar. Torfabbau, Wasserfassungen und Entwässerungsgräben gefährden diesen Lebensraum von nationaler Bedeutung und seine reiche Biodiversität. Pro Natura kümmert sich in Rothenthurm um den Schutz von 72 Hektaren Flach- und Hochmoor. 

Moorregeneration

Die erste Etappe der Renaturierungsarbeiten von 2008 bis 2014 trägt bereits Früchte, und diesen Herbst beginnt die zweite Etappe in den Sektoren Im äusseren Bann (Rothenthurm) und Wolfschachen (Einsiedeln), die sich bis 2026 erstrecken wird. In Wolfschachen zwingt uns das besondere Terrain zur Innovation. So erstellen wir aktuell eine erste Spundwand, deren Wirksamkeit sich 2024 zeigen muss, bevor wir die Arbeiten fortsetzen.

Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

Das Pro Natura Magazin nimmt Sie mit in die Natur. Es berichtet über kleine Wunder, grosse Projekte und spannende Persönlichkeiten. Es blickt hinter die Kulissen politischer Entscheide und schildert, wo, wie und warum Pro Natura für die Natur kämpft. Als Mitglied erhalten Sie das Magazin fünf mal im Jahr direkt in Ihren Briefkasten.