Hummeln picture alliance/dpa/Soeren Stache
28.07.2023 Artenschutz

Risikoreiche Bestäuberinnen

In Schweizer Gewächshäusern erledigen heute Hummeln die ­Bestäubungsarbeit. Sie werden zumeist aus der EU importiert. Eine Bewilligung braucht es dazu nicht, die Haltung ist frei von Regeln — aber nicht ohne Risiken.

Der Film «More than Honey» des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof aus dem Jahr 2012 hat uns die dunklen Seiten der industriellen Landwirtschaft vor Augen geführt. Zu sehen sind darin etwa die riesigen Mandelplantagen in Kalifornien, wüstenartige Landschaften, in denen kein Kraut mehr wächst und kein ­Summen zu hören ist. Ausser zur Blütezeit der Mandelbäume: Dann werden Millionen von Bienenstöcken quer durch die USA herangekarrt und in den Plantagen verteilt – industriell gezüchtete Bienen, die vielfach Parasiten und Krankheitserreger mit sich tragen und untereinander verteilen. Das immer häufiger auftretende massenhafte Bienensterben («Colony Collapse ­Disorder») wird massgeblich auf die industrielle Bienenhaltung zurückgeführt.  

Weniger bekannt ist, dass auch Hummeln im grossen Stil ­gezüchtet und über die halbe Welt transportiert werden. Zum Einsatz kommen sie hauptsächlich in Gewächshäusern und ­Folientunnels mit Tomaten- und Beerenkulturen. Hummeln ­haben eine spezielle Technik, um die gut befestigten Pollen­körner in den Blüten von Tomaten oder Beeren herauszulösen: Sie krallen sich an den Staubgefässen fest, vibrieren mit ihren Muskeln und setzen so die Pollen frei. Ein weiterer Vorteil: ­Kälteeinbrüche machen den Hummeln wenig aus; ihr dichter Pelz schützt sie gut, ausserdem können sie ihre Flugmuskulatur auf konstant 30 Grad aufheizen. Man kann sie also auch im ­Freiland frühzeitig einsetzen. Hummeln sind zudem äusserst ­arbeitsfreudig: Sie sammeln bis zu 18 Stunden am Tag. 

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Hummeln sind bienenfleissig: Sie sammeln bis zu 18 Stunden am Tag.

Hummeln aus der Kiste

Hummeln in der Kiste Keystone/mauritius images/Julia Thymia
Hummeln werden heute im grossen Stil ­gezüchtet und über die halbe Welt transportiert. Zum Einsatz kommen sie hauptsächlich in Gewächshäusern und ­Folientunnels mit Tomaten- und Beerenkulturen.

In Schweizer Gewächshäusern (Tomaten, Peperoni, Auberginen etc.) ist der Einsatz von Zuchthummeln heute «state of the art», im Freiland (Obstbäume) dagegen noch rar. Nahezu alle Völker werden aus dem Ausland importiert, ein Grossteil von der ­belgischen Zucht Biobest, dem weltweit grössten Anbieter von Hummeln. Gegründet wurde die Firma 1987 vom Tiermediziner und Hobby-Entomologen Roland De Jonghe. Die Befruchtung von Tomaten und Peperoni in den grossen Gewächshäusern ­seines Landes erledigten damals Arbeiter mit einem elektrischen Bestäubungsgerät. Hummeln könnten das billiger und besser leisten, dachte De Jonghe und begann, Völker der Dunklen ­Erdhummel (bombus terrestris) in Kisten zu züchten. Um ­ganzjährig verkaufen zu können, suchte und fand er Methoden, den Reproduktionszyklus der Hummeln von den Jahreszeiten zu entkoppeln.

Die Nachfrage war riesig, nicht nur in Belgien, sondern in ganz Europa und später auch in Übersee. Und quasi nebenbei löste De Jonghe mit seinen Hummeln eine zweite Revolution aus: In den Gewächshäusern werden heute kaum noch Insektizide eingesetzt. Stattdessen halten Schlupfwespen, Raubmilben und Gallmücken die Schädlinge in Schach, vermehrt auch im Freiland. Biobest erkannte das Potenzial früh und eröffnete ­einen zweiten Geschäftszweig: den Versand von Nützlingen. «Unsere Hummeln haben mehr zum Umweltschutz beigetragen als die Grünen», sagte De Jonghe einst vollmundig. Was er ­unterschlug: Wären die Agrarlandschaften mit artenreichen Wiesen und Kleinstrukturen durchsetzt und die Gewächshäuser mit Blühstreifen ausgestattet, müssten Hummeln, Raubmilben und Schlupfwespen gar nicht erst gezüchtet und importiert werden. Die heimischen, wild lebenden Insekten übernähmen die Arbeit.

Gewächshaus Matthias Sorg

Damit entfielen auch Risiken wie die Verbreitung von Krank­heiten und die Verdrängung heimischer Arten. In Südamerika etwa entpuppte sich die (dort nicht heimische) Braune Erdhummel als äusserst invasives Tierchen, das sich von Chile aus rasch auf dem ganzen Kontinent ausbreitete und – wohl über mitgeführte Parasiten – die heimische orange Riesenhummel Bombus dahlbomii in arge Nöte brachte. In vielen Regionen starb sie aus. 

Fehlende Regeln trotz Risiken

Die Aussetzung von Nützlingen (Raubmilben usw.) ist in der Schweiz streng geregelt: Bevor ein neuer Nützling zugelassen wird, klärt Agroscope die Umweltrisiken ab. Zudem gilt seit 1986 eine Registrierungspflicht für Betriebe, die Nützlinge für den Pflanzenschutz verwenden; Richtlinien legen fest, wie die Insekten einzusetzen sind. Auch die Haltung von Honigbienen ist streng reglementiert. Alle Bienenhaltungen müssen bei einer kantonalen Koordinationsstelle gemeldet werden, und es gibt ­einen nationalen Bienengesundheitsdienst, der die Imker berät und die Gesundheit der Honigbienen überwacht. Bei der ­Dunklen Erdhummel hingegen wurde nie eine umfassende ­Risikoabschätzung gemacht. Weil die Art in der Schweiz ­heimisch ist, bewerten die Behörden den Einsatz von Importhummeln als unproblematisch. Folglich verzichtete man auch auf Regelungen: Alle können Dunkle Erdhummeln importieren und halten, wie sie möchten. Ein kleines Volk (30 Arbeiterinnen, Aktivitätsdauer: 6 bis 8 Wochen) ist ab 69 Franken zu haben, geliefert wird es in einer praktischen Box. 

Allerdings gibt es durchaus Risiken: Weil die Schweizer ­Gemüseproduzenten, im Unterschied etwa zu ihren Kollegen und Kolleginnen in England oder Japan, keine Massnahmen ­ergreifen müssen, um das Ausbüxen der Hummeln zu ver­hindern, kann es relativ einfach zu Verpaarungen mit wild ­lebenden Dunklen Erdhummeln kommen – mit der Gefahr, dass sich die genetische Zusammensetzung von lokalen Populationen zu deren Nachteil verändert. Die Herkunftslinien der importierten Hummel-Völker sind den Käuferinnen und Käufern unbekannt; mutmasslich stammen die meisten Völker aus Südost­europa. Ob sich in der Schweiz bereits Hybrid-Völker gebildet haben, ist nicht erforscht.  

Gefahr durch Parasiten und Krankheitserreger

Ein weiteres Risiko ist die Verbreitung von Parasiten und Krankheiten unter den wild lebenden Hummeln. Die Hummel-produzenten müssen zwar für die Ausfuhr in die Schweiz eine (durch einen Amtstierarzt ausgestellte) Gesundheitsbescheinigung vorlegen, doch zeigen Studien, dass die durchgeführten Stichproben der Veterinäre kaum genügen. So wiesen britische Forscher in 37 von 48 gekauften – und als frei von Krankheiten und Parasiten deklarierten – Hummelvölkern aus europäischen Zuchtbetrieben ein halbes Dutzend Parasiten und zwei Viren nach, die auch auf wild lebende Hummeln übergreifen können: darunter das Flügeldeformationsvirus und die oft tödlichen -Honigbienen-Parasiten Nosema apis und Nosema ceranae (den beiden Parasiten ist es gelungen, von den Bienen auf die Hummeln überzuspringen).     

 

Hummel Gaspar Costa

Dass es über den Blütenbesuch oder den Kot tatsächlich zu Übertragungen kommt, zeigt eine Studie aus Kanada: In unmittelbarer Nähe zu den Hummel-Treibhäusern waren mehr als die Hälfte der untersuchten wilden Hummeln Träger des darm-schädigenden Einzellers crithidia bombi – je weiter weg von den Treibhäusern, desto weniger wilde Hummeln waren befallen. 

Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schätzt das Risiko, dass über importierte Hummelvölker Krankheitserreger und Parasiten in die Schweiz gelangen, als «sehr gering» ein. Dennoch warnt etwa die Vereinigung der Schweizer Kantonstierärztinnen und Kantonstierärzte davor, ­«Paketbienen» (Hummeln, Mauer- und Honigbienen) aus dem Ausland zu bestellen. Das wird aber weiterhin rege getan: ­Gemäss einer Aufstellung des Bundesamts für Zoll und Grenz­sicherheit werden pro Jahr Bienen und Hummeln im Umfang von rund 20 000 Kilogramm Lebendgewicht in die Schweiz eingeführt. 

Wer in seinen Obst- und Gemüseanlagen Bestäuberhummeln einsetzen will, war bis vor Kurzem noch auf ausländische Zuchthummeln angewiesen. Seit 2022 gibt es mit der «Schweizer Hummel» eine Alternative. Das Projekt wurde von der Firma HTC High-Tech-Center in Tägerwilen (TG) angestossen und ­bietet Dunkle Erdhummeln aus «kontrollierter Schweizer Zucht» in Mehrwegboxen an. Ziel ist es, den Erhalt von einheimischem Genmaterial zu sichern und die Selbstversorgung der Schweiz zu stärken. Auch lassen sich mit der «Schweizer Hummel» die Transportwege deutlich kürzer halten. Was das Projekt aber nicht zu ändern vermag, ja womöglich gar verfestigt, ist der ­Irrglaube, dass unsere Landwirtschaft auf wild lebende Insekten verzichten kann.  

NICOLAS GATTLEN ist Reporter des Pro Natura Magazins.

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Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.



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