Moesa Raphael Weber
19.05.2025 Gewässer

Gewässerschutz: Giftige Kehrtwende

Im Parlament wird an mehreren Fronten am Schutz unserer Gewässer gerüttelt. Dabei sind Bäche stark mit Pestiziden belastet, und toxische Abbauprodukte gefährden auf Jahre hinaus das Grund- und Trinkwasser.

Gross waren die Versprechen des Nein-Lagers vor der Volksabstimmung über die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative im Jahr 2021: Ein Bundesgesetz würde sicherstellen, dass die Risiken durch den Einsatz von Pestiziden bis 2027 um 50 Prozent zurückgehen. Für gefährliche Pestizide würden ausserdem scharfe Grenzwerte festgelegt und Zulassungen entzogen, sollten diese wiederholt überschritten werden. 

Nun aber sind das Parlament und, wie ein Bericht der SRF-«Rundschau» kürzlich aufgedeckt hat, auch die Verwaltung daran, die gesetzlich verankerten Errungenschaften der letzten Jahre zurückzuschrauben.

Gürbetal Matthias Sorg

Hochtoxisch – und ohne scharfe Grenzwerte

Um das Trinkwasser, aber auch die Gewässerökologie besser zu schützen, erliess der Bundesrat im Jahr 2020 für zwölf besonders problematische Pestizide individuelle Grenzwerte, die teils deutlich unterhalb des pauschalen Grenzwerts von 0,1 Mikrogramm pro Liter liegen. Elf davon landeten auf der Prüfliste des Bundesamts für Umwelt (BAFU). Vier wurden auf Druck des Bauernverbandes wieder gestrichen, wie die «Rundschau» im Märzpublik machte. Darunter sind die für Gewässerlebewesen hochgiftigen Insektizide Deltamethrin und Lambda-Cyhalothrin sowie das Herbizid Flufenacet, das den Hormonhaushalt von Mensch und Tier schädigen kann und das von der EU erst im März 2025 verboten wurde.

Voraussichtlich im Sommer wird der Bundesrat entscheiden. «Sollte er für diese gefährlichen Stoffe keine scharfen Grenzwerte erlassen, wäre das ein klarer Verstoss gegen das Gewässerschutzgesetz», sagt Umweltrechtsexperte Hans Maurer.

Broye Matthias Sorg

Höhere Hürden für Verbote

Parallel dazu arbeiten bäuerliche Parlamentarier daran, den Widerruf von Zulassungen zu erschweren. Gemäss geltendem Recht muss ein Pestizid überprüft werden, wenn der Grenzwert an zehn Prozent der Messstellen in zwei von fünf Jahren überschritten wird. Theoretisch droht dann ein Verbot. Mit einer Motion will Leo Müller, Luzerner Mitte-Nationalrat und langjähriger Verwaltungsrat der Agrargenossenschaft Fenaco, diese bereits hohe Hürde nochmals drastisch erhöhen: Demnach müsste die Grenzwertüberschreitung in 20 Prozent der untersuchten Gewässer und in vier von fünf Jahren vorliegen, damit eine Überprüfung überhaupt stattfinden kann.

Müller argumentiert, dass der Landwirtschaft die Pestizide ausgingen: In den letzten Jahren seien zahlreiche Wirkstoffgruppen verboten und kaum neue Pestizide zugelassen worden. Nur: Alle bisherigen Widerrufe in der Schweiz erfolgten, weil die Stoffe in der EU verboten wurden. Einen Zusammenhang mit den bestehenden Gewässerschutz regeln gab es nicht. Das kümmert den Bundesrat aber nicht: Im März empfahl er die Motion Müller zur Annahme.

Broye Matthias Sorg

Grundwasserschutz kommt nicht voran

Keinerlei Fortschritte gibt es beim Schutz des Grundwassers. Seit 1998 ist gesetzlich vorgeschrieben, dass bei Trinkwasserfassungen, die durch Schadstoffe belastet sind, ein Zuströmbereich bestimmt und dort die Nutzung angepasst wird. Doch trotz gesetzlicher Grundlage und einer Vielzahl von Überschreitungen bei den 18 000 Grundwasserfassungen sowohl der Höchstwerte für Nitrat als auch für Abbauprodukte von Pestiziden ist es noch keinem Kanton gelungen, die erforderlichen Massnahmen festzulegen. Es gab lediglich vereinzelte Vereinbarungen mit Landwirten für eine weniger intensive Nutzung gegen Entschädigung. Hinausgezögert wird auch eine bereits 2021 vom Parlament angenommene Motion des damaligen Solothurner SP-Ständerats Roberto Zanetti: Sie fordert, dass die Kantone bis 2035 die Zuströmbereiche für alle Grundwasserfassungen von regionalem Interesse bestimmen.

Silberreiher Claudio Büttler

Die Folge dieser Unterlassungen: Heute sind rund 50 Prozent der Fassungen im Ackerbaugebiet übermässig mit Nitrat und 60 Prozent mit Metaboliten belastet. Besonders problematisch ist die Trifluoressigsäure (TFA). Sie steht in Verdacht, reproduktionstoxisch zu sein, also die Fortpflanzungsfähigkeit oder die Entwicklung von Föten zu beeinträchtigen. Als künstlicher langlebiger Stoff belastet TFA das Grundwasser landesweit und ist, wie das Bundesamt für Umwelt jüngst meldete, die mit Abstand am weitesten verbreitete künstliche Chemikalie im Grundwasser. In hohen Konzentrationen tritt TFA in Ackerbaugebieten auf, wo das Fungizid Flufenacet eingesetzt wird. Auch Abbauprodukte des Fungizids Chlorothalonil sind im Grundwasser des Mittellands weit verbreitet. Seit 2020 ist die Anwendung des als «potenziell krebserregend» eingestuften Chlorothalonil verboten, doch die stabilen Abbaustoffe bleiben wohl jahrzehntelang im Boden und Grundwasser: Rund eine Million Schweizer Haushalte trinkt auch vier Jahre nach dem Verbot noch belastetes Trinkwasser.

Bäche sind weiterhin stark belastet
Forschende der Eawag haben untersucht, wie sich der 2017 vom Bundesrat verabschiedete «Aktionsplan Pflanzenschutzmittel» auf die Pestizidkonzentration in Fliessgewässern ausgewirkt hat. Die Anzahl Standorte, an welchen alle Grenzwerte eingehalten werden, hat sich zwischen 2019 und 2022 kaum verändert. Insgesamt wurden 2022 an 22 von 36 untersuchten Standorten Grenzwerte für Pestizide überschritten. Das entspricht 61 Prozent. Besonders betroffen waren kleine und mittelgrosse Bäche. Der Bericht geht davon aus, dass das Zwischenziel des Aktionsplans – bis ins Jahr 2027 die Länge der Schweizer Fliessgewässer-Abschnitte, in denen Pestizid-Grenzwerte überschritten werden, zu halbieren – nicht erreicht werden kann.

Eisvogel Claudio Büttler

Nachsorge statt Vorsorge

Auf viele Wasserversorger kommen deswegen hohe Kosten zu. Die Seeländische Wasserversorgung SWG etwa hat ihre Trinkwasserfassung in Worben vor fünf Jahren wegen belastetem Grundwasser stillgelegt und baut nun eine neuartige Filteranlage ein. Sie kostet zwei Millionen Franken; hinzu kommen jährliche Betriebskosten von rund 250 000 Franken. «Wir prüfen nun eine Haftungsklage», erklärt SWG-Geschäftsführer Roman Wiget, «nicht gegen die Bauern, sondern gegen die Zulassungsstelle des Bundes.» Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), seit 2022 für Zulassungen zuständig, verweist auf einen aktuellen Bericht des Bundesrats zur Chlorothalonil-Sanierung. Demnach sind die Wasserversorger in der Pflicht, Sanierungsmassnahmen einzuleiten und die Kosten dafür zu tragen.

Seeland Matthias Sorg

«Man will aus den Erfahrungen der Vergangenheit nicht lernen», sagt Roman Wiget. Ihn stört vor allem, dass ein Pestizid erst eingeschränkt wird, wenn neben Kriterien wie Persistenz (sie werden nur langsam abgebaut) und Mobilität (sie verbreiten sich gut) auch die Toxizität (schädliche Folgen) erwiesen ist. Dabei zeigten viele Beispiele, dass die Toxizität von Wirkstoffen und ihrer Metaboliten systematisch unterschätzt wird. «Dadurch wurden viele gefährliche Pestizide zugelassen, die wegen ihrer Persistenz und Mobilität bis ins Grundwasser gelangen und nun das Trinkwasser belasten.»

Zudem sei kaum bekannt, wie die vielen Einzelstoffe zusammen wirken («Cocktaileffekt»), erklärt Wiget. «Die Risiken sind schlicht nicht einschätz- und kontrollierbar. Wir Wasserversorger fordern deshalb schon lange, dass bei der Zulassung bereits die Persistenz und Mobilität für ein Verbot ausreichen müssen. Langlebige Stoffe, die übers Wasser herumwandern, dürfen nicht mehr zugelassen werden. Damit würde man dem im Gesetz aufgeführten Vorsorgeprinzip endlich gerecht.»

NICOLAS GATTLEN, Reporter Pro Natura Magazin

Seeland Matthias Sorg

Weiterführende Informationen

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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