Die Coronakrise berührt das Verhältnis zwischen Mensch und Natur Friedrich Wulf
29.04.2020 Umweltpolitik

Lernen aus der Coronakrise

Die Coronakrise berührt in vieler Hinsicht das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Ziehen wir Lehren aus diesem einschneidenden Erlebnis! «Weiter wie bisher» ist keine Option. Es braucht dringend ökologische, politische und gesellschaftliche Fortschritte.

Weniger von allem: Unverhofft ist die Welt geprägt von weniger Konsum, weniger Verkehr, weniger Energieverbrauch, weniger Lärm, weniger Emissionen. Unfreiwillig tun wir aus Solidarität mit gesundheitlich bedrohten Menschen das, was ökologisch schon längst nötig wäre. Viele gewinnen dieser plötzlichen Genügsamkeit (Suffizienz) auch positive Seiten ab. Andere sind wirtschaftlich bedroht. In ärmeren Ländern droht vielen nackte Not. Jetzt geht es darum, ökologische Chancen zu packen, sozial verantwortlich zu handeln und die Welt zukunftstauglicher zu machen. Es wäre falsch, mit aufgesetzten Scheuklappen schnell wieder zum «Business as usual» zurückzukehren. 

Wir können handeln, wenn wir wollen

Bundesrat und Parlament haben innert Wochen Dutzende Milliarden Franken bereitgestellt, um die Folgen der Coronakrise zu mildern. Wir alle haben einschneidende Massnahmen erlebt. Noch nie haben wir auch nur annähernd so grosse Anstrengungen für den wirksamen Schutz der Biodiversität und des Klimas gesehen. Ist die Biodiversitätskrise weniger bedrohlich als die Coronakrise? Können wir die Klimakrise weiterhin auf die leichte Schulter nehmen? Natürlich nicht! Pro Natura fordert deshalb in logischer Konsequenz, dass wir jetzt in eine wirklich krisenfestere Welt aufbrechen: Weg vom Wachstumszwang, von industrieller Landwirtschaft, von fossilen Brennstoffen, von Ausbeutung und Raubbau. Machen wir uns sofort auf den Weg: Politisch, gesellschaftlich, persönlich. 

Biodiversität schützen: Weltweit und in der Schweiz

Die Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage. Die Natur versorgt uns mit Kleidung, Nahrungsmitteln, Medikamenten, Baustoffen – und sie schwindet täglich. Biodiversität, Tierwohl und menschliche Gesundheit hängen eng zusammen. Sars, Mers, Ebola, HIV, das neuartige Coronavirus und andere Krankheitserreger sind von Tieren auf Menschen übergegangen. Dabei spielen die Zerstörung natürlicher Lebensräume und die artwidrige Haltung von Wild- und Nutztieren eine entscheidende Rolle.

Mögliche Ansätze sind:

  • Mehr internationales Engagement der Schweiz für den verbesserten Schutz tropischer Wälder, für wirksamen globalen Artenschutz, für regionale Wirtschaftskreisläufe und fairen Welthandel 
  • Aktionsplan für Sanierung, Aufwertung und dauerhafte Pflege aller Biotope von nationaler Bedeutung in der Schweiz
  • Sofortige Unterschutzstellung und Vernetzung der wertvollsten Gebiete für die Natur in der Schweiz («ökologische Infrastruktur»)
  • Impulsprogramme für dringende Erfordernisse wie Gewässerrevitalisierungen, Schaffung von Wildniszonen

Ökologie und Versorgungssicherheit stärken

Nur eine ökologische, weniger importabhängige Landwirtschaft leistet einen nachhaltigen Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung. Sie fördert gleichzeitig die Biodiversität. Das Konsumverhalten der Bevölkerung während der Coronakrise zeigt, was gefragt ist: Bio, regional, direkt vom Hof.

Mögliche Ansätze sind:

  • Abbau der überhöhten Tierbestände und hohen Futterimporte (Geflügel, Schweine)
  • Förderung vielfältiger pflanzlicher Produktion
  • Impulsprogramme für die biologische Landwirtschaft, für Bioprodukte in der Gemeinschaftsgastronomie, für vegetarische Produkte in der Gastronomie

Ein Ruck für den Klimaschutz

Bereits im Hitzesommer 2003 war die Klimaveränderung in der Schweiz für 1’000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich. Seither verschärft sich die Klimakrise dramatisch. Auch der Frühling 2020 ist geprägt von enormer Trockenheit und rekordhohen Temperaturen. Die Natur leidet. Wir müssen weg von Erdöl, Gas und Kohle.

Mögliche Ansätze sind:

  • CO2-Abgaben massiv und sozialverträglich erhöhen 
  • Subventionierung des Flugverkehrs sofort beenden
  • Kostenwahrheit für alle Verkehrsmittel einführen

Naturbezug und Freude an der Suffizienz stärken

Heute zwingt uns die Coronakrise zum Einhalten. Morgen ist es vielleicht die Biodiversitäts- oder die Klimakrise, mit noch dramatischeren Begleitumständen. Das muss nicht sein. Wir können Genügsamkeit, Regionalität und Entschleunigung auch freiwillig auf unseren Lebensplan setzen. Besser leben und zugleich die Natur entlasten: Das braucht einen starken, authentischen Naturbezug.

Mögliche Ansätze sind:

  • Echte Naturerlebnisse auf allen Schulstufen und im Berufsbildungssystem ermöglichen
  • Handlungsorientierten Unterricht fördern, Gleichgewicht von konkreten Erfahrungen und der virtuellen Welt erhalten
  • Mehr leicht zugängliche Umwelt- und Naturinformation im Lebensalltag

Solidarität umfassend verstehen und leben

Zur Bekämpfung der Coronakrise braucht es heute Solidarität über den Familienkreis, über Generationen und über nationale Grenzen hinweg. Erweitern wir dieses Prinzip auf unseren Umgang mit der Biodiversität und dem Klima, hier und weltweit. Für künftige Generationen, für die von den globalen Krisen besonders betroffenen Menschen im globalen Süden – und für uns selbst.