Dieser Wald hat ein Potential als Waldreservat Matthias Sorg
17.10.2022 Wald

«Der Wald ist ein unglaubliches Reservoir an Biodiversität»

Aus Anlass ihres 60-jährigen Bestehens rückt Pro Natura Freiburg den Wald und seine Biodiversität in den Fokus. Die Sektion macht darauf aufmerksam, wie wichtig der Wald als natürlicher Lebensraum ist, und setzt sich mit konkreten Projekten für seine ökologische Aufwertung ein.

Eines der Projekte zum Jubiläum der Sektion Pro Natura Freiburg ist besonders ehrgeizig: Es hat die Einrichtung von 60 Hektaren Waldreservaten zum Ziel. Stéphanie Chouleur, Geschäftsleiterin der Sektion: «Der Wald ist ein unglaubliches Reservoir an Leben und Biodiversität. Es ist wichtig, dieses Ökosystem zu erhalten und die biologische Qualität der Wälder in der Schweiz zu verbessern, und das geht nur durch die Schaffung von Waldreservaten. Dieses Projekt ist eine grosse Herausforderung, die uns alle anspornt.»

Bisher sind 6,5 Prozent der Schweizer Waldfläche als Waldreservate ausgeschieden. Bis 2030 streben der Bund und die Kantone einen landesweiten Anteil von 10 Prozent an. Pro Natura Freiburg ist der Ansicht, dass man 20 Prozent des Waldes der Natur überlassen und vor jeglichen menschlichen Eingriffen bewahren sollte. Die Schaffung von 60 Hektaren Waldreservaten versteht sich als Schritt in diese Richtung.

Lebendiger Wald

Ein Wald, der seinem natürlichen und dynamischen Zyklus folgt, weist alle Entwicklungsstadien der Bäume auf, von der Pionier- bis zur Zerfallsphase. Bewirtschaftete Wälder durchlaufen meistens nur einen Teil dieser Entwicklung, denn die Hochwaldbewirtschaftung, das heisst das Fällen der Bäume nach etwa einem Drittel der Lebensdauer, verhindert, dass die Gehölze ihre Alters- und Zersetzungsphase erreichen. Totholz ist aber ein unersetzlicher Lebensraum für eine beträchtliche Anzahl von Arten. «Eine alte Eiche kann zum Beispiel 300 bis 500 Arten beherbergen, darunter viele Käfer, Pilze und Vögel», sagt Chouleur. Ausserdem ist Totholz an der Humusbildung beteiligt, spielt bei der Wasserregulierung der Waldböden eine wichtige Rolle und ermöglicht den Lichteinfall, der für die natürlichen Kreisläufe notwendig ist.

Herbstlicher Wald
Die Förderung lebendiger Wälder ist ein Hauptziel von Pro Natura.
Mit über 80 Quadratkilometern Waldreservaten in der Schweiz geht die Organisation mit gutem Beispiel voran.

Der Wald in Zahlen

  • 50 Prozent aller in der Schweiz heimischen Arten leben im Wald oder sind von ihm abhängig.
  • Eine alte Eiche kann 300 bis 500 Arten beherbergen.
  • 16 von 50 Waldlebensraumtypen sind gefährdet.
  • Etwa 20 Prozent der Waldpflanzen sind bedroht.

Aufruf an Waldbesitzer

In einem ersten Schritt versucht die Sektion, das Ziel von 60 Hektaren Waldreservaten dadurch zu erreichen, dass sie Waldflächen erwirbt. «Wir stehen noch am Anfang des Prozesses. Nach unserem Aufruf wird sich zeigen, wie das Feedback der Waldeigentümerinnen und -eigentümer ausfällt. Wir hoffen, dass die Erhaltung natürlicher und dynamischer Wälder viele motiviert, an unserem Projekt teilzunehmen», sagt Stéphanie Chouleur.

Als zweiten Ansatzpunkt bemüht sich Pro Natura Freiburg, mit Waldbesitzerinnen und -besitzern einen Dienstbarkeitsvertrag auf 50 Jahre abzuschliessen. Er verpflichtet die Eigentumspartei, den Holzeinschlag einzustellen und dadurch die Biodiversität im Wald zu erhöhen. «Unsere Sektion wird den privaten oder öffentlichen Eigentümern beratend zur Seite stehen.» Darüber hinaus kann die Sektion auch als Vermittlerin zwischen dem kantonalen Amt für Wald und Natur und den Eigentümern dienen. Die Ergebnisse dieses ambitionierten Projekts werden erst in einigen Jahren sichtbar sein. Die Sektion ist sehr motiviert, das gesteckte Ziel zu erreichen.

FLORENCE KUPFERSCHMID ist Redaktorin der frankophonen Ausgabe des Pro Natura Magazins.

60 Jahre Pro Natura Freiburg: Meilensteine
In der Anfangszeit vor 60 Jahren beschäftigte sich Pro Natura Freiburg vor allem mit dem Kampf gegen die 1600 wilden Abfalldeponien, die die Landschaft des Kantons verschandelten. Damit die Sektion im ganzen Kantonsgebiet tätig werden konnte, ernannte sie bald für jede Sprachregion einen Vizepräsidenten. 1980 übernahm der junge Anwalt Bruno de Weck, der im Fischereibereich aktiv war, das Präsidentenamt. In dieser Zeit gewann die Sektion etliche Einsprachen gegen naturfeindliche Projekte, unter anderem vor Bundesgericht. Zwischen 1981 und 1983 wurden die wichtigsten Naturreservate des Kantons definitiv unter Schutz gestellt, darunter die Gebiete Auried und Vanil Noir. Gleichzeitig wurden die Themen globaler: Atomenergie, Nationalstrassen oder die rasante Zersiedlung. Die Auseinandersetzungen mit den Behörden mehrten sich.
Nach dem Rücktritt von de Weck machte sich die Sektion auf die Suche nach einer Persönlichkeit, die politische Erfahrung besass und nicht davor zurückscheute, sich nötigenfalls mit den politischen Autoritäten anzulegen. Dieses Profil brachten nacheinander drei Personen aus drei verschiedenen politischen Lagern ins Präsidium: Marie-Theres Meuwly (1993–2001), Jacques Eschmann (2001–2018) und Marc Vonlanthen (seit 2018). Die letzten 30 Jahre sind vom Kampf um eine Vielzahl von Anliegen geprägt: Starke Zunahme von Alp- und Forststrassen, wiederholte Verstösse gegen Raumplanungs- oder Natur- und Landschaftsschutzgesetze, naturfeindliche Bau-, Tourismus- oder Kraftwerksprojekte, schädliche Landwirtschaftsmethoden, illegales Abholzen von ökologisch wertvollen Hecken oder Bäumen usw.
Damit die Sektion diese Aufgaben auch in den kommenden Jahren bewältigen kann, hat sie kürzlich ihr Sekretariat ausgebaut, den Vorstand erweitert und ihre Strukturen angepasst.
Jacques Eschmann

Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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