Lichtverschmutzung in Zürich iStock / sergiyn
01.09.2022 Energie

Ohne Politik und Wirtschaft geht’s nicht: Jetzt Energieverschwendung stoppen

Der ökologische Fussabdruck der Schweiz ist drei Mal so gross, wie es unsere planetaren Grenzen zulassen. Zwei Drittel davon macht der Energiekonsum aus. Das wissen wir schon lange. Energiesparen – das bräuchte es nicht erst jetzt. Sparappelle allein an Privataushalte greifen aber zu kurz. Wir müssen die politischen und wirtschaftlichen Weichen anders stellen. Jede nicht verbrauchte Kilowattstunde zählt – besonders auch für die Natur.

Ein Drittel unseres Stromverbrauchs geht auf das Konto von Privathaushalten – mit riesigen Unterschieden je nach Lebensstil und Einkommen. Etwas mehr als die Hälfte des Gesamtverbrauchs gehen auf das Konto von Industrie, Gewerbe und Dienstleistungssektor. Auch der Verkehr trägt rund 10 % bei. Damit wir in der Energiewende schnell und nachhaltig vorankommen, braucht es darum verbindliche Spar- und Effizienzmassnahmen auf allen Ebenen, für Privathaushalte wie auch für die Wirtschaft. 

Energiesparen und Naturschutz zusammen denken

Massnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs, welche gleichzeitig erheblichen Nutzen für Natur und Klima mit sich bringen und erst noch unsere Lebensqualität verbessern, sind in verschiedenen Politikbereichen zum Teil sehr rasch umsetzbar. Einige Beispiele:

Verkehr und Mobilität: 

Der motorisierte Individualverkehr braucht nicht nur enorm viel Energie, sondern frisst Platz, versiegelt Böden, zerschneidet Lebensräume und bringt Lärm und Störungen für Mensch und Tier mit sich. Das gilt zum grossen Teil auch für die energieeffizientere Elektromobilität. Massnahmen, die Energie sparen, Natur und Klima schützen und die Lebensqualität steigern, sind etwa Tempolimiten, autofreie Sonntage, Anreize für Carsharing und Anreize für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel im Nah- wie auch im Fernverkehr. 

Elektromobilität muss gegenüber fossilen Verbrennungsmotoren den Vorrang haben, auch hier sind aber Beschränkungen nötig: Wo immer möglich muss mit geeigneten Massnahmen der Langsamverkehr gefördert werden. Zu Fuss gehen oder mit eigener Kraft ein Velo oder Trottinett betreiben, nützt neben der Umwelt auch der Gesundheit.

Strecken, welche mit dem öffentlichen Verkehr zurückgelegt werden können, wie etwa Freizeit- oder Geschäftsreisen innerhalb von Europa, sollen nicht mehr mit dem Flugzeug angeflogen werden. Hierfür braucht es neben der Förderung und dem Ausbau des Schienenverkehrs – etwa auch von Nachtzügen – staatliche Vorgaben, möglicherweise bis hin zu einem Verbot von Kurzstreckenflügen.  

Zug in Basel Uwe Conrad

Beheizung, Kühlung und Beleuchtung:

Für die Kühlung und Beheizung öffentlicher Gebäude, Anlagen und auch privater Büros können per Gesetz oder Verordnung Maximalwerte festgelegt werden. Einige europäische Länder haben angesichts der Energiekrise bereits vorgemacht, wie das geht. Schon mit der Reduktion von Heizungs- und Boilertemperaturen um nur wenige Grad wird der Gesamtenergieverbrauch massgeblich reduziert. Das darf aber eben nicht nur von Privaten gefordert werden, sondern gilt auch für Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen. 

Im öffentlichen Raum kann ein Verbot von beleuchteten Firmenschildern und Schaufenstern sowie die Beleuchtung von Büros und anderen unbenutzten Gebäuden über Nacht viel Energie sparen. Stromfressende Reklameanlagen wie bewegte E-Plakatsäulen könnten wir von heute auf morgen abschalten. Auch im öffentlichen Bereich kann die nächtliche Beleuchtung noch weiter reduziert werden, solange die Sicherheit nicht beeinträchtigt wird. Insekten und andere Tiere werden sich freuen.

Haben Sie gewusst? Nachtbeleuchtungen mindern die Überlebenschancen von rund 50% aller Insektenarten. Fluginsekten werden von künstlichen Lichtquellen wie von einem Staubsauger an- und gleichzeitig aus anderen Ökosystemen abgezogen. Sie sterben an Erschöpfung oder als leichte Beute von Vögeln und Fledermäusen.

Tourismus und Freizeitanlagen: 

Die meisten von uns haben das Bedürfnis, freie Zeit in einer angenehmen Umgebung zu verbringen, Sport zu treiben und uns in der Natur zu erholen. Die darauf beruhende Freizeitindustrie ist jedoch zum Teil enorm energieintensiv – angefangen bei der Reise ans Ferienziel über den Betrieb von Anlagen aller Art bis zum beheizten Pool. Gleichzeitig (zer)stören viele Freizeitaktivitäten die Natur und die Landschaft, in der sie stattfinden. Ein naturnaher Tourismus senkt darum nicht nur den Energieverbrauch, sondern steigert auch den Erholungswert. Es braucht hierfür aber staatliche Lenkungsmassnahmen, denn oft steht auch in diesem Bereich der Profit über dem Gebot, Energie, Natur und Landschaft zu schonen. 

Ein Beispiel ist die künstliche Beschneiung: Künstlich produzierter Schnee verändert die Pflanzenwelt, stört Tiere und verbraucht viel Energie und Wasser, trotzdem wird er teilweise noch immer staatlich gefördert. Hier gilt es anzusetzen. Viel Sparpotential ergäbe sich auch mit Beschränkungen des Warmwasserverbrauchs in Saunas und Hallenbädern, denn das Aufheizen von Wasser frisst nicht nur im Privathaushalt enorm viel Energie.

Schneekanone vor dem Matterhorn Matthias Sorg
Skigebiete halten den energieintensiven Massentourismus mit Beschneiungsanlagen künstlich am Leben, statt auf naturnahen, sanften Tourismus zu setzen.

Energie-Hunger nicht auf Kosten von Klima und Biodiversität stillen

Energiesparmassnahmen sind nicht nur angesichts einer akuten Mangellage dringend. Sie sind unabdingbar, wenn wir unsere Umwelt für künftige Generationen erhalten wollen. Denn der drohende Energiemangel ist nicht unser einziges Problem: die Biodiversitäts- und die Klimakrise sind schon lange da und spitzen sich weiter zu. Umso wichtiger ist es in der aktuellen Situation, die Energiekrise nicht auf Kosten der Bewältigung anderer Probleme lösen zu wollen – etwa mit einer kurzsichtigen Anbauschlacht im Bereich der erneuerbaren Energien, welche wiederum die Natur schädigt, oder mit einer Rückkehr zu mehr fossilen Energien, welche die Klimakrise weiter anheizen.

In der aktuellen Energiedebatte darf keine Hierarchie der Dringlichkeit aufgebaut werden. Denn Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage: Sie garantiert unsere Ernährung, versorgt uns mit sauberer Luft und haltet uns gesund. Wir haben jegliches Interesse daran, sie zu erhalten. 

Weltacker
Überproduktion stoppen
Die aktuelle Energie-Debatte zeigt uns einmal mehr: in einer Welt mit begrenzten natürlichen Ressourcen ist unbegrenztes Wachstum unmöglich. Überproduktion und Überkonsum führen zur Zerstörung der Natur und zum Kollaps lebenswichtiger Ökosysteme. Die Mittel zur Veränderung liegen bei der Politik und der Wirtschaft.

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