Wintersportinfrastruktur Matthias Sorg
07.01.2022 Alpen

Schneefallgrenze selbstgemacht

Künstlich produzierter Schnee verbraucht viel Energie und Wasser. Ausserdem verändert er die Pflanzenwelt, stört Tiere, und die Produktionsanlagen verschandeln die Landschaft. Und es werden laufend mehr, denn Wintersportgebiete können ohne künstliche Beschneiung gar nicht mehr überleben.

Die Wintersportnation Schweiz hat ein Problem: Der Schnee wird rar – und rarer. Seit 1970 ist die Anzahl Schneetage in Orten unter 800 Meter um satte 50 Prozent gesunken, und selbst auf 2000 Metern waren es immer noch minus 20 Prozent. Das zeigt ein aktueller Bericht des Bundesamts für Umwelt (Bafu) zum Klimawandel in der Schweiz. Und das Schneesterben geht weiter. Die Nullgradgrenze wird «pro 1 °C Erwärmung um rund 150 bis 200 m» ansteigen, schreibt das Bafu. Und ohne Schnee fährt es sich schlecht Ski. 

Wer braucht schon Naturschnee?

Die Skigebiete haben die Lösung aber längst gefunden: Sie machen ihren Schnee einfach selbst. Zumindest die grossen, die es sich leisten können – oder die von der öffentlichen Hand finanziell unterstützt werden. Dank künstlich produziertem Schnee (umgangssprachlich Kunstschnee, in Fachkreisen technischer Schnee genannt), kann die Saison sehr früh starten und spät enden, mehr Skifahrerinnen und Skifahrer flitzen die Pisten hinab, das bringt Einnahmen. Für die Ski­gebiete ist Beschneiung also eine gute Lösung. Kein Wunder, werden immer mehr Anlagen gebaut.

Der Klimawandel verschärft die Situation jetzt zusehends. Alleiniger Auslöser für diese Entwicklung war er allerdings nicht, wie Klimatologe Christoph Marty vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos sagt: «Ursprünglich war das Ziel der Beschneiungsanlagen, dass die Skigebiete an Weihnachten offen haben konnten. Dazu fingen sie schon im November an, Schnee zu produzieren. Aber wenn die Pisten schon präpariert sind, warum sollte man dann noch warten bis Weihnachten? Also öffneten sie schon Mitte, Ende November.» Und die Gäste kommen, denn Skifahrerinnen und Skifahrer sind gegenüber Kunstschnee durchaus positiv eingestellt, wie Befragungen zeigen. Demnach ist Schneesicherheit bei der Wahl einer Feriendestination ein wichtiger Faktor. 

Auswirkungen auf die Natur

Was für die Kasse gut ist, ist es für die Natur nicht, ökologisch betrachtet hat Kunstschnee gar keine weisse Weste, wie Geograf Dominik Siegrist, Professor im Studiengang Landschaftsarchitektur an der OST Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil (SG), sagt: «Künstliche Beschneiung beeinträchtigt Fauna, Flora und Landschaft stark. Direkt auf jenen Pisten­flächen, auf denen beschneit wird und indirekt durch Wasserentnahme aus Gewässern sowie Lärm- und Lichtimmissionen auch auf die Umgebung. Besonders problematisch ist das etwa in Karstgebieten, in denen es wenig Wasser gibt und natürlich in Mooren, in denen man eigentlich gar nicht beschneien dürfte.» 

Das Problem beginnt ausserdem schon, bevor überhaupt künstlicher Schnee vom Himmel rieseln kann. Zuerst müssen die dafür nötigen Anlagen in den Bergen erstellt werden. Mit schweren Baumaschinen werden Wasser- und Stromleitungen in tiefen, frostfreien Gräben verlegt und die Maschinen zur Schneeherstellung montiert. Weil Gebirgsökosysteme ausgesprochen empfindlich sind, kann es Jahrzehnte dauern, bis sich Boden und Vegetation von solchen Eingriffen erholen. 

BETTINA EPPER, stellvertretende Chefredaktorin Pro Natura Magazin.
 

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Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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