Getreidefeld, Copyright Matthias Sorg
31.01.2023 Umweltpolitik

Umwelt-, Konsumenten- und Gesundheitsverbände warnen vor mehr Intransparenz bei der Pestizid-Zulassung

Eine Mehrheit der nationalrätlichen Wirtschaftskommission hat heute dem Druck der Agrochemiekonzerne nachgegeben und das Parteistellungsrecht der Umweltorganisationen bei der Pestizid-Zulassung eingeschränkt. Dies widerspricht dem Entscheid des Bundesgerichts und den Vorgaben des Natur- und Heimatschutzgesetzes.

Seit einem Bundesgerichtsentscheid im Jahr 2018 haben die Umweltorganisationen ein Parteistellungsrecht bei der Zulassung von Pestiziden. Durch dieses Urteil erhielten Umweltorganisationen Zugang zu den Dokumenten, die als Grundlage für die Zulassung eines Pestizids dienen und die bis dahin nur der Verwaltung und den Agrochemiekonzerne zugänglich waren. Das Urteil hat dadurch nicht nur die Transparenz des Zulassungsverfahrens erhöht, sondern auch dessen Glaubwürdigkeit massiv verstärkt.

Eine Stimme für die Natur und Gesundheit

Zusammen mit dem Parteistellungsrecht kommt ein Beschwerderecht, das dazu dient, zu überprüfen, ob die Interessenabwägung zwischen Schutz und Nutzung in Übereinstimmung mit der Umwelt- und Gesundheitsschutzgesetzgebung vorgenommen wurde. Denn die Natur und die öffentliche Gesundheit haben keine Stimme. Sie braucht eine Anwältin im Zulassungsprozess - eine Aufgabe, welche die Umweltorganisationen, nicht zuletzt auch im Namen der öffentlichen Gesundheit, übernehmen. Wer nun das Parteistellungsrecht der Umweltorganisationen schwächen will, will Stoffe und Produkte zulassen, die gemäss Umweltrecht und aus Sicht des Konsumentenschutzes und der öffentlichen Gesundheit nicht zugelassen werden dürften.

Behauptet wird, dass das Zulassungsverfahren wegen der Verbandsbeschwerde verlangsamt wurde. Die Möglichkeit der Umweltorganisationen zur Parteistellung führt jedoch nicht zu einer Flut an Beschwerden. Seit dem Bundesgerichtsentscheid von 2018 haben die Umweltorganisationen lediglich in zwei Fällen Beschwerde geführt. Dies entspricht weniger als 0.1 Prozent der 700 derzeit hängigen Dossiers. Nach Angaben des BLV sind heute neun Beschwerden der Agrochemiekonzerne und nur eine von Umweltschutzorganisationen hängig!

Unabhängiges Audit empfiehlt mehr statt weniger Transparenz

Ende 2019 zeigte ein von der Bundesverwaltung an die KPMG AG beauftragtes Audit auf, wo die wirklichen Mängel des Zulassungsverfahrens liegen. Die Hauptgründe für den verlangsamten Prozess sind die Flut an Gesuchen aus den Unternehmen der Agrochemie, welche die viel zu tiefen Gebühren (Kostendeckungsgrad von 2%) ausnutzt sowie die oft unvollständig eingereichten Dossiers und die mangelnden personellen Ressourcen der Behörde, um diese Flut an Gesuchen überhaupt zu bewältigen.
Der Bericht von KMPG enthält zehn Handlungsempfehlungen. Unter anderem empfiehlt er, dass die Zulassungsentscheide zugänglich gemacht werden und dass die Verbände besser integriert werden. Eine Schwächung der Parteistellungsrecht für die Umweltorganisationen geht genau in die entgegengesetzte Richtung.

Agrochemie profitiert von der Intransparenz

Die überwiegende Mehrheit der KMPG-Handlungsempfehlungen wurden bislang nicht umgesetzt. Die Agrochemie arbeitet daran, dies zu verhindern, da sie von der Intransparenz des Systems profitiert. Doch je undurchsichtiger das System ist, desto wichtiger ist das Verbandsbeschwerderecht. Denn Pestizide haben massive Auswirkungen auf die Natur, das Trinkwasser und die menschliche Gesundheit (vgl. dazu das Faktenblatt von SCNAT-Factsheet). Es ist zwingend notwendig, dass ihre Zulassung transparent und im Einklang mit dem Umweltrecht erfolgt.

Die Verbände appellieren an den Nationalrat den Entscheid seiner Kommission zu korrigieren und fordern die Umsetzung des KPMG-Berichts für mehr Transparenz und Sicherheit. Nur so kann das System verbessert und die Natur und Gesundheit auch wirklich geschützt werden.

Kontakt:

  • Pro Natura: Marcel Liner, Verantwortlicher Agrarpolitik, 061 317 92 40, @email
  • WWF Schweiz: Jonas Schmid, Kommunikationsbeauftragter, @email, 079 241 60 57
  • BirdLife Schweiz: Patrik Peyer, Projektleiter Landwirtschaft, 044 457 70 26, @email
  • Greenpeace Schweiz: Alexandra Gavilano, Projektleiterin Nachhaltiges Ernährungssystem, 044 447 41 38, @email

Weiterführende Informationen

Info

Getreidefeld © Matthias Sorg

Gemeinsame Medienmitteilung von WWF Schweiz, Greenpeace Schweiz, BirdLife Schweiz, SFV, AefU, Allianz Gesunde Schweiz, Public Health, Dachverband Schweizerischer Patient*innenstellen, Landwirtschaft mit Zukunft, Biene Schweiz, Future 3, Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein