Panzersperren: von der Barrikade zum ökologisch wertvollen Korridor
Im intensiv genutzten Kulturland im Mittelland sind natürliche Lebensräume für viele gefährdete, aber auch für noch häufige Arten selten geworden. Wie kleine Inseln verteilen sich Stillgewässer, Kleingehölze, Einzelbäume, Reste von Mooren und Trockenstandorten in der oftmals ausgeräumten Landschaft. Für das Überleben zahlreicher Arten ist nicht nur der Erhalt und die Neuschaffung solcher Lebensräume wichtig, sondern auch deren Vernetzung untereinander.
Vernetzung erfolgt durch lineare, naturnah gestaltete Flächen und regelmässig verteilten Trittsteinen. Bekannte Vernetzungsstrukturen bilden Fliessgewässer und Hecken. Doch auch entlang von bestehenden Infrastrukturen, wie Strassen- und Bahnböschungen, kann die Mobilität bestimmter Arten gefördert werden.
Aus der Blockade wird eine Verbindung
Panzersperren sind ursprünglich als Barriere errichtete Strukturen. Sie bestehen aus ein- bis mehrreihigen Betonhöckern, Gräben oder hohen Mauern, die sich quer durch Talsenken ziehen oder weite Strecken zwischen natürlichen Hindernissen verbinden. Dazu gehört jeweils ein Streifen Land. In manchen Landschaften bilden solche oft zugewachsenen Sperren die einzigen linearen Strukturen. Ökologisch aufgewertet entstehen daraus wertvolle Leitstrukturen für die Vernetzung und Trittsteinlebensräume für spezifische Arten. In den Panzersperren finden sie Verstecke und Nahrung.
Pro Natura hat 300 Objekte auf ihr Potential für die Vernetzung geprüft und gut ein Dutzend ausgediente Panzersperren gekauft. In acht Panzersperren haben wir zwischen 2018 und 2024 neue Lebensräume geschaffen und damit Kleinsäugern, Insekten und Amphibien mehr Raum, Verstecke, Fortpflanzungsgewässer, Nahrung und sichere Wege gebaut.
Schweiz aktuell vom 4. März 2025
Frick AG: deckungsreiche Wanderachse für das Hermelin
Die Ausgangslage: Die Panzersperre nördlich von Frick besteht aus mehrreihigen Toblerronen und verjüngt sich ostwärts zu einer hohen Betonmauer. Der westliche Teil umfasst einen rund 12 m breiten Streifen. Die Fläche war beim Kauf stark bestockt, artenarm und abschnittsweise geprägt von nicht heimischen Arten, Brombeerdickicht und altem Gartenmüll.
Das Ziel: Mit der Aufwertung soll der Lebensraum und die Vernetzung insbesondere für Kleinsäuger verbessert werden.
Folgende Massnahmen wurden umgesetzt:
- Die Hecke stark durchforstet
- Nicht heimische Arten und Nadelgehölz entfernt
- Einen artenreichen Saum neu angelegt
- Neue Kleinstrukturen wie Asthaufen, Steinlinsen und Kleinstgewässer erstellt
- Sperrgut fachgerecht entsorgt
Situation heute: Die Panzersperre bietet Hermelin und Co. viele Versteckmöglichkeiten, deckungsreiche Wanderachsen und Nischen für die Jungenaufzucht in unmittelbarer Nähe zu ihren Jagdgebieten im Offenland. Eine angrenzende Buntbrache ergänzt das vielfältige Angebot. Die Pflege umfasst insbesondere das regelmässige Zurückschneiden der Brombeerbestände, den Unterhalt der temporären Tümpel sowie die regelmässige Aufstockung der Asthaufen. Diese Arbeiten werden von einem auf Schutzgebietsunterhalt spezialisierten Unternehmen ausgeführt.
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Andrea Haslinger
- Die Panzersperre grenzt an ein optimales Jagdgebiet für Hermelin und Co.
Oberbaselbiet BL: Wertvolle Lebensräume vernetzen
Die Ausgangslage: Im Oberbaselbiet schliesst eine Panzersperre aus einer langgestreckten Mauer den ganzen Talkessel ab. Sie verläuft durch strukturreiches Kulturland und setzt sich aus diversen Lebensraumtypen wie Weiher, Sumpfstellen, Hochstauden- und Brombeerfluren, unterschiedliche Hecken sowie teilweise brachgefallene Wiesen zusammen.
Das Ziel: Mit der Aufwertung soll die Funktion als Verbindungskorridor gestärkt und der Landlebensraum sowie die Vernetzung der Geburtshelferkröte verbessert werden. Als weitere Zielarten wurden der Neuntöter, das Wiesel, sowie die Zauneidechse definiert.
Folgende Massnahmen wurden umgesetzt:
- temporär wasserführende Tümpel gebaut
- neue Wildhecke angelegt, um die bestehenden Heckenbereiche zu verbinden
- Kleinstrukturen wie Stein- und Asthaufen erstellt
- Zäune und Metallstrukturen auf der Mauer entfernt
- Marode Hütten und Unterstände abgebrochen und entsorgt
- Pflege durch Landwirte geregelt
Die Massnahmen wurden im Herbst 2020 umgesetzt. Die Erfolgskontrollen stehen noch aus. Sie werden zeigen, ob die Ziele erreicht wurden.
Situation heute: Die Talsenke mit dem Hemmikerbach wird nun auf einer Länge von 1.4 km von einer Wildhecke durchquert. Die neuen Heckenbereiche entwickeln sich gut. Bis sie ihre volle Wirkung als Lebensraum und Nahrungsquellen erreichen, dauert es noch etwas. Die Hecke wird nur von einzelnen Strassen und Bewirtschaftungswegen unterbrochen. Durchgänge für Tiere bestehen an verschiedenen Orten.
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Andrea Haslinger
- Die Zauneidechse nutzt die Steinhaufen als Sonnenplatz und Versteck.
Gruyère FR: Ein wichtiger nationaler Wildtierkorridor
Die Ausgangslage: Die Panzersperre südlich von Gruyère besteht aus einer Betonmauer und einem breiten Graben. Sie erstreckt sich vom bewaldeten Hang auf der linken Talseite, quert Bahnlinie und stark befahrene Kantonsstrasse sowie die Saane, bevor sie auf der rechten Talseite in den ebenfalls bewaldeten Hang hinaufführt. Genau an jenem Ort befindet sich ein überregionaler Wildtierkorridor.
Das Problem: Dem Wildtierkorridor fehlen Leitstrukturen und die starke Nutzung der Kantonsstrasse führt an dieser Stelle immer wieder zu Wildunfällen.
Die Lösungsmassnahmen:
- Aktuell plant der Kanton hier die Vernetzung für die Grossfauna mithilfe des Baus einer Wildbrücke über die Kantonsstrasse zu verbessern.
- Auf dem Land von Pro Natura soll ein Teil der Mauer besser passierbar sowie ein bestehender, eingedolter Bach geöffnet und umgeleitet werden.
- Pro Natura ergänzt mit dem Anlegen neuer Tümpel und Kleinstrukturen sowie dem Pflanzen von Hecken diese neuen Leitstrukturen. Damit werden auch kleinere Arten wie Feldhase, Igel, Iltis und Zauneidechsen von einer besseren Vernetzung profitieren.
Situation heute: Mit dem Aushubmaterial der Tümpel schütteten wir im Tunnel unter der Strasse ein Bankett auf, so dass Kleintiere nun bereits sicher auf die andere Strassenseite kommen. Hermeline haben die vielen Steinhaufen bereits entdeckt. Verschiedene Libellenarten nutzen die neu angelegten Kleingewässer als Kinderstube. Für den Unterhalt ist eine Integrationsfirma mandatiert. Noch sind vor allem Mäharbeiten zu machen, in wenigen Jahren wird die lange Wildhecke regelmässige Pflegeschnitte benötigen. Der kantonale Wildtierkorridor ist noch in Planung.
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Andrea Haslinger
- Neue Gewässer im Graben und eine Wildhecke mit Kleinstrukturen ermöglichen vielen Tieren eine sichere Verbindung durch strukturlose Flächen und unter stark befahrenen Strassen hindurch.
Cudrefin VD: Strukturen in ausgeräumter Landschaft
Die Ausgangslage: Die Panzersperre in Cudrefin (VD) ist Teil eines grösseren Objektes, das vom Neuenburgersee bis zum Murtensee reicht. Das Teilstück besteht aus einem von hohen Mauern eingefassten Graben, mehrreihigen Betonhöckern und einer einfachen Mauer. Es liegt in der Nähe des Schutzgebiets Grand Cariçaie und verläuft durch intensiv genutztes Kulturland. Die Parzellen von Pro Natura verteilen sich auf mehrere Teilabschnitte. Zum Objekt gehören auch diverse Bunker.
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Andrea Haslinger
- Aus einem strukturarmen Graben wurde ein Eldorado für Gelbbauchunke, Libellen und Haselmaus.
Die Ziele: Die Panzersperre soll zu neuem Lebensraum für Feuchtgebietsarten aufgewertet werden. Neu angelegte Gewässer werden von der Gelbbauchunke besiedelt, Haselmaus und andere Kleinsäuger nutzen den Graben als Vernetzungskorridor und finden hier Nahrung und Unterschlupf. Libellen nutzen kleine Fliess- und Stillgewässer als Kinderstube. Fledermäuse verwenden die Bunker als Winterquartier.
Folgende Massnahmen wurden umgesetzt:
Die in Betonhalbschalen geführten Wasserläufe wurden freigelegt und erhielten einen mäandrierenden Bachlauf.
Diverse Tümpel und Kleingewässer wurden gebaut. Einige können künstlich entleert werden und simulieren so temporär trockenfallende Gewässer.
Vielzählige Gebüschgruppen aus regionalen Wildgehölzen und Kopfweiden wurden gepflanzt.
Eine breite Palette an Strukturen wurde angelegt: Asthaufen, grosse Totholzbereich, Steinhaufen, Schilfhaufen, offene Bodenstellen.
Randlich an die Betonwände wurden Kletterpflanzen gesetzt und Holzstämme montiert als Ausstiegshilfe für Kleintiere aus dem Panzergraben.
Die Bunker wurden zu künstlichen Fledermaushöhlen aufgewertet, indem ein Einflugloch in die Türe geschnitten, Hohlblocksteine installiert und die Luftfeuchtigkeit verbessert wurde.
Der bestehende Weidezaun wurde durch ein neues Zaunsystem ersetzt.
Das Bewirtschaftungskonzept wurde erstellt: Dieses wurde über ein Jahr mit dem Landwirten und der Pro Natura Sektion getestet und entsprechend angepasst.
Situation heute: Die ersten Gelbbauchunken haben die künstlich erstellen Tümpel bereits gefunden. Die Haselmaus ist in den dichten Heckenbereichen unterwegs. Fledermäuse können nun die Bunker als Sommer- und teilweise auch Winterquartier nutzen. Sie finden im aufgewerteten Panzersperrengraben ein vorzügliches Jagdgebiet mit einem grossen Insektenangebot. Die Rinder, die einen Teilbereich als Weide nutzen, schaffen zusätzliche Strukturen. In den offenen Hangkanten nisten verschiedene Wildbienen. Die Pflege ist aufwändig. Landwirt und Pro Natura Vaud unterstützen sich dabei gegenseitig: Schilf mähen, Weidepflege, Brombeeren zurückschneiden, Tümpel putzen, Kleinstrukturen unterhalten.
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Andrea Haslinger
- Schon kurz nach Fertigstellung der Kleingewässer konnten Gelbbauchunke (links) und Wasserfrosch gesichtet werden.
Weiterführende Informationen
Info
Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der Stiftung Yvonne Jacob, der Stiftung Bruno und Gisèle Maestri-Flück für Naturschutz sowie dem Bundesamt für Umwelt Bafu.
Kontakt
Projektleiterin: Andrea Haslinger
@email