Wolf Matthias Sorg
25.05.2022 Artenschutz

Die Zeit der Grabenkämpfe ist vorbei

Seit einem Vierteljahrhundert gibt es wieder Wölfe in der Schweiz. Nun müssen alle Betroffenen an einem Strang ziehen – für ein Nebeneinander von Mensch, Wolf und Nutztierhaltung.

Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben. 150 Tiere in über einem Dutzend Rudeln besiedeln die Schweiz heute, vom Vallée de Joux über die Surselva bis zur Val Onsernone. Einzelwölfe tauchen sogar im Mittelland auf: Offensichtlich findet der Wolf in der Schweiz Lebensbedingungen vor, die ihm zusagen. Naturschützer, Försterinnen und eine Mehrheit der Bevölkerung begrüssen den Rückkehrer. Für sie ist er eine Bereicherung der Biodiversität, eine wichtige Hilfe beim Schutz der Wälder vor (zu) hohen Wildbeständen oder gar ein Symbol für «intakte Natur».

Der Wolf ist kein Klischee

Für Nutztierhalter aber ist der Wolf eine sehr konkrete Bedrohung. Er ist verantwortlich für schlaflose Nächte, Mehrarbeit, finanzielle Einbussen und traumatische Verluste. Und mit der Ausbreitung des Wolfes tauchen immer neue Herausforderungen auf wie beispielsweise der Schutz von Grossvieh und Verhaltensänderungen bei Mutterkühen und Reitpferden oder Wolfsbegegnungen am helllichten Tag. Und nicht zuletzt die schwierige Aufgabe, ein Wildtiermanagement zu erarbeiten, das den Interessen der Landwirtschaft wie auch einem gesunden Wolfsbestand Rechnung trägt.

Der Schlagabtausch über den Umgang mit dem Wolf wurde zu lange von unvereinbaren Ideologien beherrscht: Der Wolf ist böse, unsere Vorfahren haben ihn zu Recht ausgerottet. Wölfe gehören in die Wildnis, nicht in die Schweiz. Man muss nur die Herden schützen, dann gibt es keine Probleme ... Doch der Wolf ist kein Klischee, sondern ein reales, lernfähiges Tier, das seiner Natur folgt und sich nicht um unsere Deutungen und Erwartungen schert. Damit die Interessen des Wildtiers mit jenen der Menschen in Einklang gebracht werden können, braucht es von Wolfsbefürwortern und ­gegnern Kompromisse. Ein erster wichtiger Schritt ist es, sich von Pro- und Kontra­Lagern zu lösen, aufeinander zuzugehen und Bereitschaft für gemeinsames, unvoreingenommenes Lernen zu zeigen.

Für Pro Natura ist die Regulierung des Wolfsbestands mitnichten ein sicheres Rezept, um Schäden an Nutztieren vorzubeugen. Am Herdenschutz führt kein Weg vorbei. Doch Pro Natura kann hinter einer Regulierung des Wolfsbestands stehen, wenn er sachlich gut begründet und ausserdem an gewisse Voraussetzungen geknüpft ist. Daher hat sich Pro Natura mit anderen Umweltverbänden und Organisationen aus Landwirtschaft, Jagd und Forst an einen Tisch gesetzt mit dem Ziel, einen Grundkonsens zum Wolf zu finden. Ein solcher wurde jetzt tatsächlich erzielt und soll Eingang in eine Teilrevision des Jagdgesetzes finden – ein Meilenstein im Schweizer Wolfsdiskurs!

Parallel zum Stakeholder­Prozess hat Pro Natura einen Erfahrungsaustausch im Hinblick auf die nächste Sömmerungssaison initiiert – eine vertrauensbildende Massnahme für direkt Betroffene, die den gemeinsamen Lernprozess fördern und praktische Massnahmen unkompliziert und mit gegenseitiger Unterstützung umsetzen helfen soll.

Regulierung unter klaren Bedingungen

Der Konsens fusst auf der Feststellung, dass der Umgang mit dem Wolf flexibilisiert werden, der Entscheid über seine Regulierung aber Sache des Bundes bleiben muss. Angesichts der dynamischen Entwicklung des Wolfsbestands sind auch präventive Eingriffe vertretbar; nicht nur Abschüsse nach Schäden. Allerdings muss eine solche Regulierung an klare Bedingungen geknüpft sein: Regionale Wolfsbestände und die Rudelstruktur müssen erhalten bleiben, der Herdenschutz etabliert werden. Ausserdem muss ein plausibler Zusammenhang mit künftigen Schäden bestehen. Eine quasi­Jagdbarkeit des Wolfes, unabhängig von Schäden (wie heute beispielsweise beim Steinbock), muss ausgeschlossen bleiben, ebenso wie die Ausscheidung «wolfsfreier Zonen».

Ausserdem soll die ökologische Rolle des Wolfes für den Wald beim Regulierungsentscheid ebenfalls gewichtet werden. Mit diesem integrativen Ansatz liesse sich nach Ansicht von Pro Natura die Wolfsdebatte entschärfen. Konkrete Schäden als auch die mediale Polemik könnten reduziert werden und der Wolfsbestand in der Schweiz bliebe so langfristig gesichert. Nun ist es an der Politik, ob sie dem breit abgestützten Kompromiss der Verbände für eine Koexistenz folgen oder aber weiterhin den «Wolfskonflikt» befeuern will. Ob die Vorschläge der «Stakeholder» vom Parlament aufgenommen werden, stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest.

SARA WEHRLI betreut bei Pro Natura das Dossier Beutegreifer.

Weiterführende Informationen

Info

Dieser Artikel wurde im Pro Natura Magazin publiziert.

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